: Beste Kolonialtradition
■ betr.: „Kenia fürchtet eine 'schwarze Intifada‘“, taz vom 17.9.93
Das Schreckensgespenst des aggressiven Islam scheint immer eine Schlagzeile wert zu sein. In Bezug auf Kenia und insbesonder Lamu ist es jedoch kaum angebracht. [...]
„Als die Insel (Lamu) brannte“, war ich dort. Es brannten einige Häuser, vor allem Regierungsgebäude. Die Urheber sind nicht unbekannt, sondern die Bevölkerung von Lamu. Sie wurde zum ersten Mal überhaupt gewalttätig, als der Distriktkommissar, statt einen Protestbrief zu lesen, lieber der Polizei befahl, eine friedliche Versammlung durch Schüsse zu zerstreuen.
Der Distriktkommissar ist nicht zufällig nicht-muslimisch. Er wird in bester Kolonialtradition von der Zentralregierung in Nairobi eingesetzt, ist Polizeichef und Verwaltungsoberhaupt und fährt im Übrigen das einzige Auto, das auf Lamu erlaubt ist. [...]
Seit die Einheitspartei KANU gezwungen war, mehrere Parteien zuzulassen und Wahlen abzuhalten, die sie durch Spaltung der Opposition noch einmal gewann, tut die Regierung alles, um das Land zu destabilisieren. Nicht in bezug auf die Muslime, sondern bei allen Volksgruppen Kenias, kommt es plötzlich zu sogenannten ethnischen Auseinandersetzungen, die fast immer auf KANU-Angehörige zurückgeführt werden können. KANU braucht „Argumente“ für die Rückkehr zum autoritären Einparteiensystem. Wenn ein Distriktkommissar auf eine friedliche Menge mit einem legitimen Anliegen schießen läßt, gehört das zu dieser Destabilisierungpolitik.
Das Anliegen der muslimischen KenianerInnen in Lamu ist mitnichten die Zerstörung des Tourismus. Von dem leben nämlich viele. Eher im Gegenteil, denn die einzige Straße nach Lamu wurde seit etwa einem Monat ca. einmal in der Woche von bewaffneten Banditen überfallen. Dabei wurden auch zwei Frauen aus Lamu getötet. Der gesamte Handel, der gesamte Personenverkehr der Normalbevölkerung und der größte Teil des Tourismus läuft über diese Straße. Die Regierung unternahm so gut wie nichts gegen diese Bedrohung. Es heißt, es handelt sich um somalische Banditen. Da sie ohne somalischen Akzent sprechen, vermuten einige, daß die untätigen kenianischen Politiker von den Überfällen profitieren. Das ist eine Vermutung, aber nicht undenkbar. Der Protestbrief sollte erreichen, daß die Regierung die Busse besser schützt. Statt dessen verlegte die Regierung ein größeres Truppenaufgebot nach Lamu.
Für TouristInnen bestand nie eine Gefahr (außer im Bus). Uns wurde allerdings nahegelegt, eine Nacht in den Häusern zu bleiben, da es zu Vergeltungsaktionen der Soldaten kommen würde. Niemand verließ die „brennende Insel“ (fünf Häuser!). Lediglich eine kleine Gruppe ging ins Nachbardorf. [...]
Das unter diesen Umständen islamische Extremisten Zulauf finden, ist kaum verwunderlich. Als Ursache der Unruhen können sie jedoch kaum bezeichnet werden. [...] Anja Weiß, Berlin
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