: Bespitzelte wollen’s wissen
TRANSPARENZ Vor dem Oberverwaltungsgericht wird darüber gestritten, ob der Verfassungsschutz den von ihm Beobachteten Akteneinsicht schuldig ist
Muss der Berliner Verfassungsschutz den Personen, die er beobachtet, Akteneinsicht geben? Um diese Frage geht es am heutigen Mittwoch vor dem Oberverwaltungsgericht. Dort geht ein von AktivistInnen des Berliner Sozialforums eingeleitetes Verfahren in die zweite Runde. Das Forum war seit seiner Gründung 2002 bis Sommer 2006 von mindestens vier V-Leuten des Bundesamts für Verfassungsschutz beobachtet worden. Das Landesamt wiederum setzte mindestens einen V-Mann, der seit über 10 Jahren in „autonomen Kreisen“ aktiv war, auf das Sozialforum an und verwertete die Daten des Bundesamts eifrig mit.
Nachdem die Bespitzelung bekannt geworden war, stellten 20 Personen beim Landesamt für Verfassungsschutz Anträge auf Auskunft über Überwachung und Akteneinsicht. Es handelt sich um Personen, die entweder im Sozialforum aktiv waren oder Veranstaltungen der Initiative besuchten und dadurch ins Visier der Beobachter geraten sein können. Diese Anträge wurden nicht nur ausgesprochen schleppend bearbeitet – sie wurden allesamt mit der pauschalen Begründung abgelehnt, dass sie Aufschlüsse über die Arbeitsweise und Quellen des Verfassungsschutzes ermöglichen würden.
Dagegen hatte das Mitglied des Sozialforums Wilhelm Fehse geklagt und im Januar 2008 einen Teilerfolg errungen. Das Verwaltungsgericht urteilte damals, die Behörde könne solche Auskünfte nur verweigern, um die Enttarnung von V-Leuten zu verhindern. Das müsse sie allerdings in jedem Einzelfall begründen. Eine grundsätzliche Ablehnung von Auskunftsansprüchen sei nicht möglich, so der Vizegerichtspräsident Hans-Peter Rueß in der Begründung. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig, weil die Innenverwaltung Berufung beim Oberverwaltungsgericht einlegte. Sollte das Urteil nun vor dem Oberverwaltungsgericht Bestand haben, muss der Verfassungsschutz alle Anträge auf Akteneinsicht neu entscheiden. Fehses Verteidiger, Rechtsanwalt Sönke Hilbrans, geht davon aus, dass in diesem Fall „die Behörden bei den Anträgen auf Akteneinsicht deutlich auskunftsfreundlichere Maßstäbe als bisher anwenden müssen“.
Grottian bleibt kritisch
Der emeritierte Berliner Politologieprofessor und Sozialforums-Aktivist Peter Grottian, der als einziger der Betroffenen Akteneinsicht erhalten hatte, beurteilte das Urteil allerdings auch kritisch, weil es dem Verfassungsschutz Möglichkeiten der Auskunftsverweigerung offenlasse. „Bisher ist man bei der Behörde mit einem Auskunftsersuchen gegen eine Wand aus Stein gerannt. Künftig rennt man gegen eine Wand aus Gummi.“ Auch Kläger Fehse warnt vor Euphorie und verweist auf die politische Dimension: „Insgesamt bleibt der Verfassungsschutz weiter ohne öffentliche und parlamentarische Kontrolle.“ Trotzdem ruft das Sozialforum zum regen Besuch der Berufungsverhandung auf. Sie beginnt um 12 Uhr vor dem Oberverwaltungsgericht in der Hardenbergstraße 31 (am Bahnhof Zoo). PETER NOWAK