Besonderer Frisörsalon in Leipzig: Solidarisch schön werden
Sich schick machen zu lassen, kostet im Grand Beauty Salon in Leipzig kein Geld. Hier werden Schönheitsideale dekonstruiert und nicht reproduziert.
E in älterer Herr kommt die Treppe des Salons hinunter. „Das hat ja super geklappt“, sagt er. Dass er gerade beim Frisör war, lässt sich an seinen frisch gestutzten Haaren erkennen.
Der Salon ist in einer weiß-grünen historischen Stadtvilla in einem Park in Leipzig-Grünau. Bäume und laubbedeckte Wege geben dem Ort etwas Märchenhaftes. Nur Geräusche der nahen Straße und braune Plattensiedlungen im Hintergrund erinnern an die Lage am Rand der Großstadt. „20 Euro kostet der Haarschnitt bei meinem Frisör, das kann ich mir nicht mehr leisten“, erzählt der ältere Herr. In letzter Zeit hat er deshalb seine Haare selbst geschnitten. Dann hat ihm eine Bekannte von dem Grand Beauty Salon von Frauke Frech erzählt.
Dieser Text ist Teil der Sonderausgabe zum feministischen Kampftag am 8. März 2024, in der wir uns mit den Themen Schönheit und Selbstbestimmung beschäftigen. Weitere Texte finden Sie hier in unserem Schwerpunkt Feministischer Kapmpftag.
Frech sitzt im Park vor der Villa und trinkt einen Kaffee. „Und wissen Sie schon, wie unserer Tauschkreislauf hier funktioniert?“, fragt sie, als der ältere Herr mit den frisch geschnittenen Haaren ihr vor der Villa begegnet. „Wir wollen, dass alle, die hierher kommen, auch etwas in die Gemeinschaft geben.“ Der Mann räuspert sich, wirkt etwas verdutzt: „Also, Singen oder Tanzen kann ich nicht.“ Es stellt sich heraus, dass er schon etwas Geld gespendet hat.
Frauke Frech ist Künstlerin und Gründerin des Grand Beauty Salons. Jeden Freitagnachmittag können Menschen hierher kommen, um sich kostenlos die Haare schneiden, sich massieren oder schminken zu lassen. Auch Augenbrauen werden gezupft. Finanziert wird das Angebot mit Stiftungsgeldern, Spenden sowie Mitteln aus dem Förderprogramm „Orte der Demokratie“ des Landes Sachsen. Etwa 15 Leute zwischen 20 und 70 Jahren gehen pro Woche ein und aus.
Schönheitsnormen dekonstruieren
Im Team arbeiten neben Frech sieben weitere Leute. Die meisten sind gelernte Frisör:innen, Masseur:innen oder Make-Up-Artist:innen. Sie kommen aus Afghanistan, Deutschland, Mexiko, dem Libanon, Libyen, Portugal und Syrien. Viele können ihren Beruf nicht in Deutschland ausüben, weil ihr Abschluss hier nicht anerkannt wird oder sie noch keine Arbeitserlaubnis haben. Hier können sie ungezwungen ihre Fähigkeiten ausleben und das machen, was sie lieben, sagt Frech. Als Ehrenamtliche können sie in dem Salon mitwirken, manche sind als Mini-Jobber:innen angestellt.
Während Frech vor der Villa auf einem Stuhl sitzt, kommen immer wieder Frauen mit Kindern an, grüßen sie herzlich, verschwinden dann im Haus. Es ist überraschend warm an diesem Freitag Mitte Februar. „Schönheit ist für mich vor allem eine Solidarisierung untereinander“, sagt Frech bestimmt. Freiheit und die Möglichkeit, das eigene Selbst ausleben zu können, hängen für sie eng zusammen.
Der Salon gibt dafür einen Rahmen. Schönheitsideale sollen hier dekonstruiert statt blind reproduziert werden. Dabei geht es um den Austausch über ästhetische Normen – etwa die Frage, warum Menschen wie aussehen wollen und welche Vorstellungen von Schönheit dahinter stecken. Nur mit der Auseinandersetzung mit diesen Normen können Menschen lernen, einander respektvoll zu begegnen und Fürsorge für sich selbst und andere entwickeln, ist Frech überzeugt. „Wenn wir unsere eigene Schönheit anerkennen, können wir sie auch besser in dem anderen sehen“, sagt sie.
Wie eine inklusive Gesellschaft funktionieren kann, beschäftigt Frech schon länger. Die 42-Jährige studierte Performancekunst in Genf und in Kiel. Als Künstlerin fehlte ihr jedoch immer der Kontakt zu einem Publikum fernab der Bühne. 2014 war sie als Gastkünstlerin in einem interkulturellen Hotel in Augsburg, in dem Asylbewerber gemeinsam mit Tourist:innen untergebracht sind. Dort lernte sie Geflüchtete kennen, die in ihren Herkunftsländern im Beautybereich arbeiteten, und entwickelte die Idee für Grand Beauty.
Ort der Begegnung
In den Jahren 2018 und 2019 tourte Frech mit einem mobilen Salon durch Sachsen. Seit zwei Jahren ist der Friseurladen fest in Leipzig stationiert. Das Haareschneiden und Massieren brachte sie sich selbst bei, eine Ausbildung im Schönheitsbereich hat sie nicht. Für sie hängt das Handwerk eng mit ihrer künstlerischen Praxis zusammen. „Das Erscheinungsbild und das Haar werden zum künstlerischen Material, aber auch die Wünsche der Person fließen mit ein.“ So entstehe ein Dialog, in dem die äußeren und inneren Anliegen ausgehandelt werden können.
Der Salon soll ein Ort der Begegnung sein, an dem Menschen ins Gespräch kommen, die sonst keine Berührungspunkte haben. Bestenfalls werden so auch Vorurteile abgebaut. „Es ist dieses zusammen Wohlfühlen, das dieser Raum ermöglicht. Und durch die verschiedenen Sprachen und Kulturen erweitern wir alle unseren Blick“, erklärt die Künstlerin. Deshalb will das Team keine klassischen Kund:innen, sondern Personen, die sich aktiv am Geschehen vor Ort beteiligen. Ein älteres Paar komme beispielsweise regelmäßig zum Haare schneiden, berichtet Frech. Im Gegenzug hilft es beim Gärtnern. Kuchen backen, bei Behördengängen unterstützen oder mal Putzen, all das kann eine Gegenleistung sein. Aber auch Spenden für die Schönheitsbehandlungen werden akzeptiert.
Begegnen können sich Besucher:innen in der Villa in zwei großen Räumen, die über eine Flügeltür verbunden sind. In einem der Zimmer lädt ein Sofa zum Verweilen ein, in der Ecke werden einer Frau gerade die Augenbrauen vor einem Schminktisch gezupft. In dem anderen Raum befindet sich neben drei Frisörstühlen ein Tisch mit Make-up-Utensilien. Grüner, blauer, violetter Lidschatten, Lippenstifte in allen möglichen Farben stehen darauf. Der Salon ist ein großer Experimentierraum. Auf einem der Stühle sitzt eine junge Frau. Dunkelblauer Lidschatten säumt ihre Augen, die nassen lockig-braunen Haare hängen über ihren Schultern. Die Frisörin Ibtissam Zaher ist dabei, ihr die Haare zu schneiden. „Die Haare sind am Ende dünn, deswegen mache ich ihr einen Stufenschnitt“, sagt sie.
Für die 53-jährige Zaher ist der Salon ein zweites Zuhause geworden. Hier kann sie ihren Beruf ausüben, mit anderen Frauen ins Gespräch kommen und vor allem: Deutsch lernen. Sieben Jahre hat Zaher auf ihre Arbeitserlaubnis gewartet, seit zwei Jahren darf sie in Deutschland erwerbstätig sein. Sie ist in dem Beauty Salon als Minijobberin angestellt.
Ausbildung nicht anerkannt
Zahers Familie kommt ursprünglich aus Palästina, ihre Familie wurde mit dem ersten arabisch-israelischen Krieg 1948 aus dem heutigen Israel vertrieben. Sie wuchs in einem Flüchtlingscamp im Libanon auf, hat aber die meiste Zeit ihres Lebens in Libyen verbracht. Dort hatte sie ihren eigenen Frisörsalon. 2015 ist sie mit ihrer Familie und sechs Kindern nach Leipzig gekommen.
Seit zwei Jahren ist sie im Grand Beauty Salon. Das Haareschneiden sei ihr Herz und Blut, noch nie habe sie etwas anderes gemacht, sagt sie. Auch Buchhaltung könne sie. Aber ihre Ausbildung werde in Deutschland nicht anerkannt. Nicht nur das Ignorieren ihrer Qualifikation durch die Behörden ist eine Hürde für sie. „Ein deutscher Frisör hätte Hemmungen, mich als Frau mit Kopftuch einzustellen“, sagt sie.
Im Alltag ist Zaher antimuslimischem Rassismus ausgesetzt. „Warum trägst du ein Kopftuch?“ oder „Ich hasse Muslime“ – das sind Sprüche, die sie regelmäßig etwa im Supermarkt zu hören bekommt. Sie zeigt auf ihr rechtes, dann auf ihr linkes Ohr: Solche Sprüche gehen bei ihr da rein und da wieder raus. „Was soll man sonst machen?“, sagt sie lächelnd und nimmt eine Strähne in die Hand. Von Vorbehalten in der Branche gegen Frauen mit Kopftuch berichtet auch Frauke Frech. „Das Kopftuch kann ein Hinderungsgrund für eine Ausbildung oder Anstellung sein.“ Eine Bekannte von ihr finde keinen Ausbildungsplatz, weil sie ein Kopftuch trage.
Ende März muss der Beauty Salon die Villa verlassen, denn der Mietvertrag läuft aus. Die Stadt Leipzig hat die Räume bisher zur Verfügung gestellt. Frech ist im Gespräch mit der Stadt über einen neuen Standort. Noch ist keiner gefunden. Sie und ihr Team hoffen, dass ihr Projekt durch den Ortswechsel sichtbarer und zugänglicher wird. Denn der Park hat auch Barrieren. Nachts sei er sehr dunkel, was viele Frauen als unangenehm empfänden, berichtet Frech. Und Passant:innen kommen nicht zufällig herein. „Wir wollen aber gerade, dass Menschen uns entdecken, die noch nie von uns gehört haben“, sagt Frech.
Mittlerweile sitzt ein junger Mann auf einem der drei Stühle im Salon. Ein Frisör aus Syrien stutzt sein Haar zurecht. „Welche Sprache sprecht ihr hier eigentlich?“, fragt der junge Mann neugierig. „Arabisch, Kurdisch, Englisch, von allem ist was dabei“, antwortet der Friseur. Daneben warten Kinder, die ihr Gesicht mit Tiermustern bemalen lassen wollen. „Ich möchte eine Katze“, ruft ein kleiner Junge der Make-Up-Artistin entgegen. Welche Farbe sie denn nehmen solle, fragt sie ihn. „Warte, ich zeig Ihnen ein Bild“, sagt die Mutter und zückt ihr Telefon. Ihr Sohn möchte das Abbild seines Haustiers ins Gesicht gemalt bekommen.
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