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Besitzer kommen mit Zollstock, Videokamera und Architekt

■ 800.000 Grundstücke in der DDR gehören Westdeutschen - auch das halbe Areal des Ostberliner Fernsehturms / In Blankenfelde Westansprüche auf 50 Prozent des Bodens / Berliner Senator fürchtet „sozialen Unfrieden“ / Haus- und Grundbesitzerverein empfiehlt Besuchszurückhaltung / Viel Eigenarbeit der DDRler in den Häusern

Berlin (dpa) - In Blankenfelde geht die Angst um. Scharen westlicher Besucher fallen am Wochenende in die 8.000-Seelen -Gemeinde südlich von Berlin ein. Erholung suchen die Bundesbürger hier nicht, die ländliche Idylle rührt sie kaum. Auch das harmonische Miteinander der Blankenfelder, die sich abseits vom Großstadttrubel noch Zeit füreinander nehmen, läßt sie kalt. Die Westbesucher haben meist nur materielle Werte im Auge. „Jetzt kommen diese fremden Leute und sagen, sie möchten sich mal 'ihr‘ Haus anschauen“, sagt eine 55jährige Frau, die wie viele andere um ihr Heim fürchtet. „Dabei haben die doch über die ganzen Jahre gar nicht hier gewohnt. Das Haus ist meine Heimat.“

DDRweit soll es Schätzungen zufolge rund 800.000 Grundstücke geben, die Bundesbürgern gehören. Allein 150.000 davon seien im Besitz von Westberlinern, sagt Dieter Blümmel, Sprecher des Bundes der Haus- und Grundeigentümervereine in Berlin. Kuriositäten gibt es in diesem deutsch-deutschen Grundstücksdschungel zuhauf: So steht das DDR-Außenministerium auf dem Grundstück eines Anwalts aus dem Westen, und der Ostberliner Fernsehturm steht auf einem Areal, das zur Hälfte einer großen deutschen Versicherung gehört.

Dies ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Das Gros der Eigentumsansprüche von Bundesbürgern trifft die „kleinen“ Leute in der DDR. Die Sorgen um das Morgen bestimmen den Alltag - zumal zunehmend Berichte die Runde machen, daß westdeutsche Grundstücksbesitzer mit Zollstock, Videokamera und Architekten anrücken, um sich das „Einfamilienhaus der Großmutter“ anzuschauen. Viele wollten die langjährigen Mieter einfach auf die Straße setzen, heißt es.

Dabei haben die Bewohner über die Jahre alles so gut wie möglich in Schuß gehalten - und das war in der alten DDR nicht einfach. „Wir haben so viel Rennerei um alles gehabt, für jedes Brett haben wir angestanden. Alles mußte getauscht oder über Beziehungen beschafft werden“, erinnert sich eine 47jährige Grafikerin, die mit ihrer Familie in Wochenendarbeit das in den 30er Jahren gebaute Miethäuschen aufmöbelte.

Von den staatlich verwalteten 2.500 Wohngrundstücken in Blankenfelde gehören etwa 1.200 Eigentümern im Westen. Eine Familie aus Bad Nauheim in Hessen ist angereist, um etwas über ihr Haus zu erfahren. Jahrzehntelang hätten die DDR -Behörden auf keines ihrer Schreiben geantwortet. „Die konnten nicht verwinden, daß wir ihrem kostbaren Staat den Rücken zugekehrt hatten“, meint der ergraute Wolfgang Czempin. Er war 1948 in den Westen gezogen und will sein altes Haus wieder herrichten lassen. Die Mieter sollen zu den jetzigen Bedingungen wohnen bleiben.

Das Haus des Wahl-Hessen fiel unter die DDR-„Verordnung zur Sicherung von Vermögenswerten“ aus dem Jahre 1952: Auf ihrer Grundlage wurden rückwirkend von 1945 bis August 1989 in der DDR Grundstücke und Häuser von „Republik-Flüchtlingen“ beschlagnahmt, in Volkseigentum überführt und teilweise verkauft. Von 1958 an fiel das Eigentum von Flüchtlingen, die in der alten DDR als Verbrecher galten, unter staatliche Treuhandverwaltung und damit in den Aufgabenbereich der Kommunalen Wohnungsverwaltung.

„Sozialen Unfrieden“ durch Auseinandersetzungen um Besitz und Nutzungsrechte sieht Berlins Finanzsenator Norbert Meisner (SPD) voraus. Bis genügend Wohnraum in der DDR geschaffen ist, müsse die Führung in Ost-Berlin für eine Mietpreisbindung sorgen und Klagen von Bundesbürgern auf Eigenbedarf erschweren. „Wenn jemand schon 20 Jahre in einem Haus gewohnt und viel Geld hineingesteckt hat, dann muß das Nutzerrecht über das Eigenbedarfsrecht gestellt werden“, meint Meisner.

„Begangenes Unrecht muß wiedergutgemacht, aber neues verhindert werden“ - das ist auch die Devise von Blümmel. Um die Interessen von Bundesbürgern zu wahren, fordert er ein deutsch-deutsches „Rückübereignungs- und Entschädigungsgesetz“. Zum Schutz der DDR-Bürger sollten am Ende „akzeptable Kompromisse“ stehen. Die will der Experte schon jetzt auf menschlicher Ebene anbahnen, indem er Westeigentümer zu Zurückhaltung beim Besuch der Mieter im Osten mahnt. Der „Stil des Mallorca-Deutschen“ passe nicht in die neue Zeit.

Die Blankenfelder müssen bis zur Einigung auf politischem Weg vor Ort selbst mit dem Ansturm fertig werden. Vor dem Haus eines 67jährigen Rentners parkte kürzlich „ein dickes Auto, dem eine ganze Völkerschar entstieg“. Ungeniert filmten die Besucher Haus und Garten. Auch zur Grafikerin kamen vor Ostern zwei Bundesbürger. „Der Frau war alles sehr peinlich, aber der junge Mann war mächtig neugierig, der hat in jede Ecke geschaut“, erinnert sie sich.

Aller Ungewißheit zum Trotz will sie den ersten Schritt tun und eine einvernehmliche Lösung suchen: „Ich habe die Besitzerin, die am 17.Juni in ihrer alten Heimat ein Klassentreffen feiert, hier bei mir zum Kaffee eingeladen.“

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