: „Beschränktes Demokratieverständnis“
■ Die Erlebnisse des Polizisten Andreas Schellen im Einsatz-Zug Mitte
In einer taz-Serie „Helm ab Nachdenken: Ein Polizist packt aus..“ schilderte Andreas Schellen 1990 die Zustände im Einsatzzug Mitte, dem er bis 1987 angehörte. Schon damals kam Schellen zu dem Schuß: „Eine Gesellschaft mit beschränktem Demokratieverständnis“.
Schellen über den Corpsgeist: „SSpau war Wegbereiter der Legion. Erscheint ein kritischer Bericht, wie zum Beispiel der des Kriminalhauptkommissars Horst Middeldorf zum miterlebten Polizeieinsatz am Atomkraftwerk Brokdorf, wurde dieser wie ein Steckbrief ausgehängt.“
Schellen zum Rassismus: „Im Bereitschaftsraum gab es eine große Tafel. Darüber hinaus diente sie uns dazu, Schulden bei der Getränkekasse zu notieren ,Gerd 1.-' oder ,Schelle 1.80.' Ja und dann stand da ,SSpau'. Gruppenführer Wolfgang S. schrieb sich selber so, als wäre es ein Spitzname, auf den er stolz sei. Damit auch der Dümmste wußte, was gemeint war, schrieb er die Lettern ,SS' in Zackenlinie wie die Ruinen der NS-Waffen-SS.“
Und: „Wenig später kam Wolfgang S. wieder, riß das Fenster auf. ,So stinkt's nur bei Asozialen, Pennern und Asylanten.' Die Kollegen empörten sich nicht über seine Anschauungen und seinen Rassismus, sondern wehrten sich höchsten lauthals, daß sie mit ,Asylanten und Pennern' in einen Topf geworfen würden.“
„Wolfang S. leitete Gespräche ein, brachte sie auf den richtigen Pfad, wenn's dann flach wurde, über ,Penner und Bimbos' hergezogen wurde, hielt er sich vornehm zurück. Steter Tropfen höhlt den Stein.“
Als Andreas Schellen gegenüber seinen Kollegen im Einsatzzug Mitte offen gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit eintrat, wurde er ausgegrenzt. „An meinen Spind fand ich danach einen Aufkleber: ,Mach die Flatter!' Links daneben in weißer Kreise ein Hakenkreuz und SS-Runen.“
Andreas Schellen beantragte seine Versetzung und kam „vom Regen in die Traufe“: „Am ersten Tag hörte ich folgenden Dialog über den neuen Papst: ,Heut aus der Kirche ausgetreten.' – ,Nee!' - ,Haha, hätt' ich schon lange machen soll'n' – ,Ja, was das kostet, dieses Gelumpe!' – ,Genau' – ,Wenn ich den schon seh', diesen Polacken, wenn er die Erde küßt' – ,Polackensau!' Das war mein Empfang.“
Zurück von einem Einsatz wegen einer Schlägerei, bei der es einen Schwerverletzten gegeben hatte: Ein Kollege: „War's wenigstens ein Schwatter? Dann wär's ja nicht schade drum.“
Auch im Kirchenallee-Revier wurde gegen „Nestbeschmutzer“ erbarmungslos vorgegangen. Als eine Zeitungsannonce erscheint, die auch von „Kritischen PolizistInnen“ und Andreas Schellen unterschrieben worden war, wird er auch in dieser Wache ausgegrenzt. Schellen: „Die Anzeige wurde von jemandem im Bereitschaftsraum der Wache ausgehängt. Auf diesem Steckbrief waren die Namen der Unterzeichner rot unterstrichen. Nach der Vorschrift für den Polizeidienst natürlich nicht zulässig.“
Obwohl sich Schellen mehrfach an Vorgesetzte wandte, unter anderem an den damaligen Direktionschef Heinz Krappen, reagierte der Polizeiapparat nicht. 1990 quittiert Schellen nach elf Jahren Polizeidienst resigniert den Dienst.
Kai von Appen
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