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„Beschleunigte Vorbereitung von Luftangriffen“

■ Nach dem Massaker in Sarajevo will der Generalsekretär der UNO eine Temposteigerung / Der Nato-Rat soll schon heute über Luftangriffe entscheiden

Genf (taz) – Der Nato-Rat in Brüssel wird sich heute oder morgen mit der Aufforderung von UNO-Generalsekretär Butros Ghali zur Vorbereitung von Luftangriffen auf Artilleriestellungen bei Sarajevo befassen. Mit seiner Auffforderung reagierte Ghali auf das Massaker in Sarajevo, bei dem am Samstag durch eine Granate mindestens 68 Menschen getötet worden waren. Bereits gestern fanden informelle Beratungen der 16 Nato-Botschafter statt.

In einem in der Nacht zum Montag abgesandten Schreiben an Nato-Generalsekretär Manfred Wörner betonte Ghali, das Massaker erfordere die „beschleunigte Vorbereitung“ von Luftangriffen, mit denen vor einer Wiederholung „abgeschreckt“ werden solle. Ghali verlangt, daß „der Nato-Rat so bald wie möglich das Nato- Kommando Süd im italienischen Ancona dazu autorisiert, auf Verlangen der UNO Luftangriffe gegen Artilleriepositionen in- und außerhalb Sarajevos durchzuführen, die für Attacken gegen Zivilisten verantwortlich sind“.

Ghali verweist auf eine derartige Attacke in jüngster Zeit, die nach ihm vorliegenden Berichten der Unprofor-Kommandanten „von den bosnischen Serben verübt wurde“. Abschließend schreibt er: „Die Prozeduren für die Koordination der Luftstreitkräfte sollten in direkten Kontakten zwischen den Hauptquartieren der Unprofor und des Nato-Kommandos Süd ausgearbeitet werden, und zwar in der Weise, wie das bereits bei den Luftunterstützungsmaßnahmen zur Verteidigung von UNO-Personal in Bosnien-Herzegowina geschehen ist.“ Für derartige Luftunterstützungsmaßnahmen – zum Beispiel für den Fall, daß Unprofor-Soldaten beim Öffnen des Flughafens in Tuzla angegriffen werden – hatte der Nato- Rat jedoch schon am 9. August 1993 grünes Licht gegeben. Sie können auf Anforderung Ghalis erfolgen und bedürfen keines erneuten Beschlusses eines Nato- Gremiums. Was dagegen bis heute fehlt, ist die von Ghali zur Voraussetzung gemachte Empfehlung der Unprofor-Kommandanten.

Für Luftangriffe auf Waffenstellungen einer der drei Kriegsparteien ohne vorherigen Angriff auf UNO-Personal hatte der Nato- Rat im August 1993 in einer inzwischen vom Nato-Gipfel im Januar wiederholten Formulierung zwar seine prinzipielle Bereitschaft erklärt. Zugleich machte der Rat jedoch den Vorbehalt, die endgültige Entscheidung nach einer entsprechenden konkreten Anforderung des UNO-Generalsekretärs zu treffen. Diese Anforderung liegt mit dem Schreiben Ghalis nun auf dem Tisch.

Ghali sieht sein Vorgehen durch die Resolution 836 des UNO-Sicherheitsrates vom Juni 1993 gedeckt, die die UNO – und in ihrem Auftrag die Nato – ermächtigt, zum Schutz der sechs im Mai 1993 vom Sicherheitsrat ausgerufenen UNO-Schutzzonen Gewalt anzuwenden. Zu diesen Schutzzonen zählt auch Sarajevo.

Karadžić für „Separatfrieden“

In UNO-Kreisen wird jedoch nicht ausgeschlossen, daß zumindest Rußland, dessen Außenminister Andrej Kosyrew sich gestern erneut gegen Luftangriffe aussprach, eine weitere Beratung und Beschlußfassung des Sicherheitsrates verlangt. Auch Griechenland, das derzeit die EU-Präsidentschaft führt, sprach sich erneut gegen Luftangriffe aus.

Die beiden Bosnienvermittler von EU und UNO, Thorvald Stoltenberg und Lord David Owen, streben unterdessen bei der für Donnertag angesetzten Genfer Verhandlungsrunde den Abschluß eines Separatfriedens an, durch den Luftangriffe überflüssig werden sollen. Die Vermittler ließen eine Bereitschaftserklärung des bosnischen Serbenführers Radovan Karadžić verbreiten, in der dieser sich für „Verhandlungen über einen Separatfrieden für Sarajevo“ aussprach. Laut dem Sprecher der beiden Vermittler, John Mills, bedeutet „Separatfrieden“ im Klartext die sofortige Unterstellung der bosnischen Hauptstadt unter UNO-Administration, unabhängig von einer umfassenden politischen Regelung für ganz Bosnien. Eine detaillierte Vereinbarung über eine zweijährige UNO-Verwaltung Sarajevos war bereits Mitte September 93 in Genf von allen drei Kriegsparteien unterzeichnet worden. Sie sieht unter anderem den vollständigen Abzug von Artilleriegeschützen und anderen schweren Waffen aus Sarajevo und seiner Umgebung vor sowie die Demilitarisierung der Stadt, in der dann nur noch Militär- und Polizeieinheiten der UNO Waffen tragen dürften. Andreas Zumach

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