Beschäftigung für Langzeitarbeitslose: "Ich bin hier nicht die, die blockiert"
Dass es nicht genügend öffentlich geförderte Stellen für Langzeitarbeitslose gibt, liegt allein am Bund, sagt die neue Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD).
taz: Frau Kolat, was sagen Sie zu den Protesten von sozialen und kulturellen Projekten, die nicht wissen, wie es ohne Öffentlich geförderten Beschäftigungssektor (ÖBS) weitergehen soll?
Dilek Kolat: Dafür habe ich größtes Verständnis. Ich kenne auch viele dieser Projekte. Aber das ist kein Problem der Landespolitik.
Sondern?
ÖBS war immer auf bundespolitische Arbeitsmarktinstrumente aufgebaut, die wir mit Landesmitteln aufgestockt haben. Aber diese bundespolitischen Instrumente wurden drastisch gekürzt oder sind ganz weggefallen. Von ehemals 640 Millionen Euro gibt es nun nur noch 430 Euro Millionen Euro. Außerdem steht uns nur noch die "Bürgerarbeit" als vergleichbares Instrument zur Verfügung. Die Bundesarbeitsagentur will den Schwerpunkt künftig mehr auf die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt legen.
Es war aber Ihre Koalition, die beschlossen hat, den ÖBS abzuschaffen. Was kommt denn stattdessen?
Das Programm: Der Öffentlich geförderte Beschäftigungssektor, kurz ÖBS, wurde 2006 vom rot-roten Senat eingeführt. Mithilfe von Bundes- und Landesmitteln wurden befristete Stellen im sozialen und kulturellen Bereich finanziert, zum Beispiel als Gemeindedolmetscher oder Mobilitätshelfer. Die Beschäftigten erhalten bei einem Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde brutto 1.300 Euro pro Monat und sind sozialversichert. Ziele des ÖBS waren existenzsichernde Arbeit für die Beschäftigten und die Finanzierung von Projekten, die sich ökonomisch nicht rentieren, aber gesellschaftlich sinnvoll sind. Mitte des Jahres gab es noch rund 5.000 ÖBS-Stellen.
Die Abschaffung: Die rot-schwarze Koalition hat beschlossen, den umstrittenen ÖBS auslaufen zu lassen und durch ein eigenes Instrument zu ersetzen, bei dem die Beschäftigten keinen Mindestlohn mehr erhalten, dafür aber mehr Langzeitarbeitslose erreicht werden sollen. Parallel dazu findet auch auf Bundesebene eine Umstrukturierung statt: Die Mittel, die das Land für den ÖBS verwendete, wurden dramatisch gekürzt.
Die Folgen: Eine Vielzahl von Projekten profitierte oder profitiert noch immer vom ÖBS. Allein im November und Dezember fielen über 700 Stellen weg, die nur zum Teil durch ähnliche Maßnahmen ersetzt werden können. (mah)
Wir wollen diesen Bereich anders benennen. Das ist in Zukunft die Öffentlich Geförderte Beschäftigung, ÖGB. Dafür nutzen wir die Bürgerarbeit und stocken sie mit der gleichen Summe wie bisher auf. Wir wollen das Geld aber effektiver nutzen und mehr Menschen erreichen.
Die gleiche Summe für mehr Menschen - also kein Mindestlohn mehr.
Das stimmt. Das ist auch die Veränderung gegenüber dem ÖBS, sonst könnten wir es ja genauso nennen.
Dabei war die SPD immer eine Partei, die sich zum Mindestlohn bekannt hat.
Wir positionieren uns ganz klar für den Mindestlohn. Das sehen Sie am Vergabegesetz. Und wir haben uns in der rot-schwarzen Koaltion darauf geeinigt, dass auch im Minijob-Bereich der Mindestlohn gilt. Aber Sie müssen bedenken, dass wir über 210.000 Arbeitslose in Berlin haben und ÖBS gerade mal 5.000 Menschen erreicht hat. Bei allen anderen Maßnahmen der Jobcenter bekommen die Beschäftigten auch keinen Mindestlohn. Wenn das Land Berlin ganz viel Geld hätte, könnten wir es für alle Betroffenen gerechter machen. Aber das wäre ein milliardenschweres Projekt.
Was ist stattdessen Ihr Ziel?
Es ist meine Aufgabe als Senatorin, mehr öffentlich geförderte Stellen zu schaffen. Das Problem ist, dass die Bürgerarbeit kontingentiert ist. Wir haben vom Bund für Berlin gerade mal 2.400 Plätze zugeteilt bekommen. Die Landesmittel zur Aufstockung habe ich und halte ich fest. Ich bin hier nicht die, die irgendetwas blockiert oder abschaffen will.
Machen Sie jetzt Druck beim Bund?
Klar. Andere Bundesländer haben ihre Kontingente nicht ausgeschöpft. Davon will ich so viel wie möglich haben. Das werde ich mit dem Bundesministerium für Arbeit und der Bundesagentur für Arbeit aushandeln.
Das dürfte noch eine Weile dauern. Was raten Sie den Vereinen, deren Stellen jetzt auslaufen?
Dazu muss ich etwas Grundsätzliches sagen: Alle Stellen, die früher über ÖBS und in Zukunft über Bürgerarbeit finanziert werden, sind befristete Stellen. Das liegt in der Natur der arbeitsmarktpolitischen Instrumente. In diesem Rahmen kann ich keine Dauerfinanzierung für Kinderbetreuung, Mobilitätshelfer oder Gemeindedolmetscher realisieren. Das ist nicht meine Aufgabe als Arbeitssenatorin.
Aber in den Richtlinien des Regierenden Bürgermeisters steht, die sinnvollen ÖBS-Projekte sind zu sichern.
Ja natürlich. Darum kämpfe ich doch gerade.
Was soll denn zum Beispiel der Pankower Verein Paula Panke machen, dessen Stellen für eine hoch gelobte Kinderbetreuung Ende Januar wegfallen werden?
Paula Panke ist ein Sonderfall. Es gab vier Bezirke, die sich nicht an der Bürgerarbeit beteiligt haben. Dazu gehört auch Pankow. Ich werde mich dafür einsetzen, dass diese Bezirke so schnell wie möglich Stellenkontingente bekommen. Und dann muss Paula Panke schnell einen Antrag stellen. Welche Projekte genau gefördert werden, entscheiden aber die Bezirke. Da kann es sein, dass manches Projekt weniger Mittel bekommt.
Das dürfte weitere Proteste auslösen.
Was mich stört, ist, dass in Sachen ÖBS immer wieder vonseiten der Projekte argumentiert wird. Dabei geht es um die Langzeitarbeitslosen: Die sollen Perspektiven bekommen. Das ist Aufgabe der Arbeitsmarkpolitik und nicht die Dauerfinanzierung von Projekten. Außerdem dürfen wir die übrigen Bereiche der Arbeitsmarktpolitik nicht aus den Augen verlieren. Jetzt wo sich durch Wirtschaftswachstum Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze generieren, müssen wir den Fokus auch auf den ersten Arbeitsmarkt legen.
Dilek Kolat, 44, ist seit Dezember Senatorin für Arbeit, Frauen und Integration. Davor war die Wirtschaftsmathematikerin finanzpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern