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Archiv-Artikel

Beruf: Visionsvermittlerin

Hat keine Angst um ihr Stück vom Kuchen: Die Dirigentin Sian Edwards gibt Tschaikowskis Zweite mit den Philharmonikern

Im Grunde müsste darauf verzichtet werden können, Frauen in –ehemaligen – Männerberufen noch einmal ausdrücklich zu nennen und hervorzuheben. Denn gerade Frauen selbst sind oft der Meinung, es gehe um Qualität und nicht um das Geschlecht – zu Recht, wie es scheint.

Bei genauer Nachfrage stellt sich jedoch heraus, dass diese Haltung häufig aus pragmatischen und Karriere-Gründen bezogen wird. So sprechen in Bezug auf den Beruf der Dirigentin die Statisken eine sehr bittere, andere Sprache: Von nur sechs Prozent weiblichen Orchesterchefs ist zu berichten, von lediglich dreien in der Spitzenklasse. Der soeben erschienene europäische Dirigentinnenreader nennt 250 Dirigentinnen.

Allerdings ist der Aufwärtstrend der letzten Jahre stark: Simone Young – vor Jahren hier zugunsten von Günter Neuhold abgelehnt – wird in Hamburg Nachfolgerin von Ingo Metzmacher. Catherine Rückwardt ist Generalmusikdirektorin in Mainz. Romily Pfundt bekleidet das Amt der Chefdirigentin der Bergischen Symphoniker. Alicja Mounk leitet die Opernakademie Karlsruhe. Und die erst 33-jährige Karen Kamensek bekleidet den Posten einer Generalmusikdirektorin in Freiburg, wo mit Amelie Niermeyer auch eine Intendantin tätig ist.

Vieles spricht dafür, dass das Rad nicht mehr zurückzudrehen ist: Das jedenfalls ist die Überzeugung der Engländerin Sian Edwards, die heute und morgen die Philharmonischen Konzerte dirigiert. Schon in der Probe wird deutlich, dass es ein vollkommen verändertes Dirigentenverständnis gibt – das der Partnerschaft, des „primus inter pares“.

„Die Aufführung ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit“, meint Edwards. „Allerdings muss der Dirigent eine Vision vermitteln können“.

Pauschalurteile über Frauen in ihrem Beruf mag sie nicht. Erfahrungen wie Catherine Rückwardt – die hatte sich darüber beklagt, dass „die Jungs den Kuchen unter sich“ aufteilen würden – habe sie nicht gemacht: „Männer haben mich gefördert und ich habe in genau diesem Betrieb ja meine Karriere gemacht“.

Als elfjährige begann sie Waldhorn zu spielen und als Teenager kleine Laienorchester zu dirigieren. In Leningrad hat sie zwei Jahre bei Neeme Järvi studiert, dem Vater des Nachfolgers von Daniel Harding bei der Deutschen Kammerphilharmonie, Paavo Järvi. Den hatte sie einfach gefragt: „Wie kann man so dirigieren wie Du?“

1984 gewann sie den ersten Internationalen Dirigentenwettbewerb in Leeds und dirigiert seitdem nahezu alle großen Orchester der Welt. Von 1993 bis 1995 leitete sie die English National Opera, zieht aber noch das freie Konzertieren vor: Im heimatlichen Sussex, wo sie mit Überzeugung auf dem Land lebt, hat sie einen zwölfjährigen Sohn.

Mehrfach ausgezeichnet wurden ihre Interpretationen der Werke Peter Tschaikowskis. In Bremen erklingt dessen zweite Sinfonie, die sogenannte “kleinrussische“. Er sei „ein unterschätzter Komponist, ich liebe die Weite seiner Landschaften“. Die Solistin des Konzerts ist die phänomenale junge niederländische Geigerin Janine Jansen, die das virtuose Violinkonzert von Benjamin Britten interpretiert. Ute Schalz-Laurenze

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