Berlusconi und die Präsidentschaftswahl: In Italien lacht niemand
Silvio Berlusconi möchte sich ab Montag zum Staatspräsidenten Italiens wählen lassen. Das gilt als unwahrscheinlich, doch ein Sieg ist es trotzdem.
Aber dann gibt es da auch noch einen ganz anderen Silvio Berlusconi. Und diesem Doppelgänger geht es blendend. Er musste bloß immer dann ins Krankenhaus, wenn gerade mal wieder ein Prozesstermin in Mailand oder in Siena gegen ihn anstand. Jener Berlusconi denkt gar nicht daran, sich zur Ruhe zu setzen. Im Gegenteil – nichts weniger als Italiens Staatspräsident will er jetzt werden, inthronisiert von der Wahlversammlung, die am 24. Januar in Rom zusammentritt.
Eigentlich wäre Berlusconis Versuch ein Schenkelklopfer, doch in Italien lacht niemand. Seit Wochen diskutiert die Presse ernsthaft seine Wahlchancen, und am letzten Freitag trugen die in Berlusconis römischem Wohnsitz „Villa Grande“ versammelten Parteichef*innen des Mitte-rechts-Lagers ihm offiziell die Kandidatur an. Matteo Salvini, Chef der Lega, Giorgia Meloni, Vorsitzende der postfaschistischen Fratelli d’Italia, und diverse andere Anführer von konservativen Kleinparteien befinden, Berlusconi habe einfach „die Autorität und die Erfahrung, die das Land verdient und die die Italiener erwarten“.
Erfahrung bringt der Mann gewiss mit, aus seinem ersten Leben erst als Bauunternehmer und dann als größter Medientycoon des Landes, anschließend aus seinem Leben als Politiker, der 1994 die Partei Forza Italia gründete, die Parlamentswahlen gewann und erstmals Ministerpräsident wurde.
Offene Fragen
Im Detail jedoch interessiert jener reiche Erfahrungsschatz Italiens Medien kaum. Ungeklärt ist bis heute die Frage, warum genau der junge Bauunternehmer seit 1973 in seiner Villa vor den Toren Mailands für gut zwei Jahre den Mafiaboss Vittorio Mangano beherbergte, angeblich als „Stallknecht“. Ebenfalls ungeklärt ist, woher die Hunderte von Millionen Euro stammten, mit denen Berlusconi erst seine Bauprojekte, dann seine Expansion im Privat-TV-Markt so wie in den Printmedien finanzierte und die er bar im Diplomatenköfferchen in die Bank trug.
Klar dagegen ist, dass der damalige aufstrebende Mailänder Unternehmer in den 70er und 80er Jahren hervorragenden Schutz genoss. Schutz von der Freimaurer-Geheimloge P2, in die er sich eingeschrieben hatte und die ihm mit großzügigen Krediten aus von ihren Mitgliedern kontrollierten Banken zur Seite stand. Schutz von Politikern wie Sozialistenchef Bettino Craxi, die ihm mit maßgeschneiderten Mediengesetzen gestatteten, ein Quasimonopol im privaten TV-Markt Italiens zu errichten.
1994 sattelte er notgedrungen plötzlich zur Politik um. Berlusconi waren plötzlich seine politischen Paten abhandengekommen, denn ausgedehnte Korruptionsermittlungen der Staatsanwaltschaft Mailands hatten zum Zusammenbruch von Craxis Sozialistischer Partei und der Christdemokraten geführt – und die Linke drohte die Wahlen zu gewinnen. Wenn Berlusconi nicht in die Politik gegangen wäre, „schliefen wir heute unter Brücken oder säßen im Gefängnis“, sagte einer seiner wichtigsten Manager.
Denn es drohten neue, schärfere Mediengesetze, es drohten Ermittlungen wegen illegaler Parteispenden, es drohte die Fälligstellung der Kredite der mit damals umgerechnet vier Milliarden D-Mark heillos überschuldeten Medienholding.
Ein Spalter
Von einem Tag auf den anderen zog Berlusconi seine Partei Forza Italia hoch, aus dem Stand gewann er an der Spitze einer Allianz mit der rechtspopulistischen Lega Nord und der postfaschistischen Alleanza Nazionale die Wahlen, regierte 1994, dann in den Jahren 2001 bis 2006 und 2008 bis 2011.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass er jetzt seine politische Laufbahn mit der Wahl zum Staatspräsidenten, sprich zum Repräsentanten der „Einheit der Nation“ – so die Verfassung – krönen will.
Denn vor allem spaltete er das Land. Lange vor Donald Trump oder Nigel Farage spielte er auf der rechtspopulistischen Klaviatur, hetzte gegen die „Roten“, die „Kommunisten“, die Italien angeblich in eine Diktatur verwandeln wollten, gegen „die roten Roben“ auch, jene Staatsanwälte, die ihm aus vorgeblich politischen Gründen nachstellten, mit unzähligen Verfahren wegen illegaler Parteienfinanzierung, Korruption, Bilanzfälschung und auch wegen seiner Mafiakontakte, später dann wegen Stimmenkaufs im Parlament, als er einen Senator des Mitte-links-Lagers mit der Zahlung von drei Millionen Euro zum Seitenwechsel bewegte.
An den für ihn wichtigen Fronten nutzte er seine neue Rolle als Politiker kreativ, bastelte sich ein passendes Mediengesetz, grätschte mit zahlreichen „Reformen“ immer wieder der Justiz rein, zum Beispiel mit der Herabstufung von Bilanzfälschung von einer Straftat zu einem bloß mit Bußgeld bestraften Vergehen oder mit der Verkürzung von Verjährungsfristen. Millionen Menschen demonstrierten gegen seine Politik, doch er machte ungerührt weiter.
Das Gros seiner Prozesse endete denn auch mit Freisprüchen nicht wegen Unschuld des Angeklagten, sondern wegen Verjährung. Dennoch könnte Berlusconi, sollte er am Ende zum Staatsoberhaupt gewählt werden, ein Primat beanspruchen: Er wäre der erste vorbestrafte Präsident Italiens. 2013 nämlich wurde er wegen Steuerbetrugs zu vier Jahren Haft verurteilt. Die musste er zwar nie absitzen, kam er doch mit einem Jahr Sozialdienst davon, der darin bestand, dass er einmal pro Woche in einem Altenheim Alzheimer-Patient*innen betreuen musste.
Prozess wegen Amtsmissbrauch
Doch die politische Karriere schien definitiv vorbei, Berlusconi verlor seinen Sitz im Senat, wurde mit Schimpf und Schande aus dem Parlament gejagt. Und dann gab es auch noch den Skandal, der als Rubygate Schlagzeilen machte. Die damals noch minderjährige Karima El-Mahroug, die unter dem Künstlernamen Ruby Rubacuori arbeitete, soll mehrmals in Berlusconis Mailänder Villa bei Orgien zu Gast gewesen sein.
Der Fall war Anlass für einen Prozess gegen Berlusconi wegen Amtsmissbrauch und Förderung der Prostitution mit Minderjährigen. Letztlich wurde er freigesprochen, doch bis heute laufen in Bari, Mailand und Siena noch Prozesse wegen Zeugenbestechung, weil er diverse junge Frauen geschmiert haben soll, damit sie dichthalten.
Berlusconi aber dachte gar nicht daran, sich aus der Politik zurückzuziehen, sondern setzte auf die in Italien ausgeprägte Bereitschaft zum Vergeben und Vergessen. Sein Rechtsblock kommt in der Wahlversammlung auf etwa 450 der 1.008 Stimmen, den Rest will er offensiv bei Unentschlossenen einsammeln, mit großzügigen Versprechen ebenso wie mit Geschenken, zum Beispiel Bildern aus seiner privaten Gemäldesammlung. Würde er tatsächlich gewählt, so würde für ihn ein Traum wahr: Denn künftig müssten in Zukunft alle Richter*innen und Staatsanwält*innen Italien sein Konterfei in ihren Amtsstuben hängen haben.
Noch gilt seine Wahl als eher unwahrscheinlich, doch gewonnen hat Berlusconi schon jetzt – durch die Tatsache allein, dass ein ganzes Land seine Kandidatur völlig ernsthaft diskutiert, statt in Gelächter auszubrechen. Das nennt man wohl gelungene Resozialisierung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag