Berliner Szenen: In der Bar
Lamas verschreckt
Er verkauft Rosen, Feuerzeuge und Lamas. Die Lamas sind klein und kuschlig. Der alte Mann irgendwie auch. Ein kleiner Magnet klebt an der Seite der Kamele. Ja, Lamas sind Kamele. Offenbar soll man sich das Lama an den Kühlschrank heften. Feuerzeuge brauchen wir nicht, rauchen tun wir seit Stunden – wir sind in einer Bar. Und die Rosen kauf ich ihm heute auch nicht ab. Meine Begleitung weiß um meine Zuneigung, und einzelne Rosen kauft man eh nicht. Entweder der ganze Strauß oder gar nichts. Aber so ein Lama, das ist neu. 5 Euro kostet eins. Na dann, zwei bitte.
Ich kaufe die Lamas, und jetzt sitzen wir hier, immer noch rauchend, ohne Rosen und starren die beiden Wolltiere an. Das eine ist definitiv etwas zurückgeblieben. Es glotzt verschreckt in die Gegend, die Beine sind schief und krumm, das Fell ist struppig. Das andere wiederum kommt äußerst majestätisch daher. Die anderen Gäste verstehen den Lachanfall nicht. Wie auch, sie haben weder gesunde noch gehandicapte Lamas erworben.
Einer bestellt stolz eine Vase für seine einzelne Rose, seine Tischnachbarin ist auch ganz entzückt. Jetzt kommen lauter Freunde rein, betrunken und grölend. Sie verstehen den Lama-Moment nicht. Eine heftet das Lama gedankenverloren an die metallene Zuckerdose, die auf dem Tisch steht. Das geht nicht. Man kann nicht einfach in ein Lokal platzen und intime Momente zerstören, nur weil man keine Ahnung von den Wünschen und Gefühlen anderer Menschen und Lamas hat. Die Situation war nicht mehr zu retten, der Pöbel regierte, die schüchternen Tiere waren nun zu verschreckt, um uns noch zu vertrauen.
Wir haben die Lamas an zwei verschiedenen Orten in Neukölln versteckt. Wir hoffen dass sie jemand findet, der ihnen ein besseres Zuhause bieten kann.
Juri Sternburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen