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Berliner Schatten über dem Weltkongreß

■ Ein lokaler Konflikt sorgte für Mißtöne am Rande des Treffens von 120 Mitgliedern aus aller Welt / Ist die in Ost-Berlin existierende Adass Isroel eine Neugründung oder eine Fortsetzung der 1869 selbständig gegründeten orthodoxen Gemeinde?

Berlin. Große internationale Kongresse haben strenge Regeln. Es sind Konzerte mit ersten und zweiten Geigen, Soloparts und wohl aufeinander abgestimmten Instrumenten. Der gemeinsame Klang muß rein sein. Der am Dienstag abend beendete Jüdische Weltkongreß war so ein Konzert. Ein sehr schwieriges.

Ein Mißton aber war die Ausladung der orthodoxen, nur in der DDR zugelassenen jüdischen Gemeinde Adass Isroel. Interveniert gegen die Teilnahme hatte beim europäischen Büro des Weltkongresses der „Zentralrat der Juden in Deutschland“, dessen Vorsitz Heinz Galinski führt. Die Feindschaft zwischen der reformierten jüdischen Gemeinde West-Berlin und der kürzlich in der DDR offiziell zugelassenen orthodoxen Gemeinde in Ost-Berlin schwelt schon lange. Aber unterschiedliche Talmudauslegungen sind nicht der Grund der gegenseitigen schlimmen Unterstellungen. Der Zentralrat und die Westberliner Gemeinde werfen dem Geschäftsführer von Adass, Mario Offenberg, falsches Spiel vor. Die Gemeinde sei keine Gemeinde, sondern, so Micha Guttmann, Generalsekretär des Zentralrates, eine „Fiktion“. Wenige Familienmitglieder und Freunde ließen sich bei Offenbergs persönlichem Kreuzzug gegen Heinz Galinski unter dem Deckmantel eines „praktizierten Judentums“ - dazu mißbrauchen, eine Gemeinde vorzuspielen, die es in Wirklichkeit nicht gebe. Die eigentlich handfesten Interessen Offenbergs aber, vermutet Guttmann, seien „finanzieller Natur“. Die Gemeinde möchte das ehemalige Eigentum in West-Berlin wieder zurückhaben, Eigentum aber, das nach der „Selbstauflösung“ der Gemeinde in den fünfziger Jahren an die Jüdische Gemeinde (West) gefallen ist.

Genau diese „Selbstauflösung“ ist aber - so Mario Offenberg - der Kern des Problems. Die Gruppe, die sich nach dem Holocaust als „Adass Isroel“ in Berlin rekonstituierte, habe aus „Schein-Adassianern“ bestanden, sei eine „Freibeutergesellschaft“, deren einziger Gründungs- und Auflösungszweck war, das Vermögen von Adass Isroel in die von Heinz Galinski geführte Jüdische Gemeinde einzubringen. Die Ausgrenzung und die Vorwürfe des Zentralrates, sie seien keine „richtige“ Gemeinde, halten Offenberg und der Vorstandsvorsitzende der seit einigen Jahren in Israel ansässigen Schwestergemeinde, Gedalia Schreiber, für eine „Fortführung des Werkes, das die Nazis in der Vergangenheit begannen“. Die Anerkennung durch das Oberrabbinat in Israel, das praktizierte Religions- und Gemeindeleben und die Wiederzulassung als Körperschaft des öffentlichen Rechts in Ost-Berlin beweise, daß Adass Isroel in der gesetzestreuen und zugleich aufklärerischen Tradition der alten, 1869 gegründeten selbständigen Gemeinde stehe.

Die Kontroverse zwischen den beiden Gemeinden ist längst kein Hauskrach innerhalb einer jüdischen Familie mehr. Beinahe wäre der Empfang, den DDR-Ministerpräsident Lothar de Maiziere für die Teilnehmer des Weltkongresses in Ost -Berlin gab, an diesem Streit gescheitert. Wenige Stunden vor Beginn dieses Ereignisses wurde de Maiziere vom Präsidenten des Weltkongresses, Edgar Bronfman, und von Heinz Galinski ultimativ aufgefordert, die bereits versandten Empfangseinladungen an den Adass-Isroel-Rabbiner, Eliezer Ebner, an Schreiber und Offenberg zurückzuziehen. Die „äußerst diskriminierenden Vorwürfe“ von Adass Isroel schlössen eine gemeinsame Teilnahme an dem Empfang aus. De Maiziere beugte sich der „unabdingbaren (Teilnahme -)Voraussetzung“ des Weltkongresses. Der Ministerrat der DDR lud Adass Isroel aus. Und ein übriges: DDR -Volkskammerpräsident Ullmann sagte einen bereits zugesagten Vortrag bei Adass kurzfristig ab und Konrad Weiss von „Demokratie Jetzt“ seine Rede drei Stunden vor dem geplanten Beginn ebenfalls.

aku

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