Berliner Lieblingsort: Kulturpark Plänterwald
Es war eine kleine Sensation damals, dass im Plänterwald, mitten in Ostberlin und direkt an der Spree, Punkbands spielten
Von der Bühne kracht und rotzt es, ein Sänger grölt ins Mikro und rollt sich an den Rampenrand. Er trägt einen schwarz-roten Irokesen, Rasierklingen auf seinem zerfetzten T-Shirt und Sicherheitsnadeln in den Ohrläppchen. Er gehört zu einer Punkband, die aus irgendeinem Ostberliner Hinterhof auf die viel zu große Bühne geraten war.
Im ›Vergnügungspark Plänterwald‹ im Treptower Park traten im Frühsommer 1982 jeden Mittwoch irgendwelche Gruppen auf, Rock, Blues und Punk zwischen Ketten-karussell und Achterbahn. Selten bestiegen bekannte Bands wie City oder Engerling (›Am Fenster‹, ›Mama Wilson‹) die Bühne, die meisten Schrammler waren so unbekannt wie diese namenlose Kapelle.
Ich stehe dicht am Bühnenrand, links springt ein Pogo-Tänzer in mich hinein, rechts heult mir jemand ins Ohr. Ich bin 17 und in der elften Klasse, ich trage ein fleckig gefärbtes Nachthemd meiner Oma als Kleid, Römerlatschen und Bindfäden als Ohrringe. Mit dem Krach da vorn kann ich nichts anfangen. Aber ich finde mich cool, aufmüpfig und draufgängerisch. Ich bin auf einem Punkkonzert.
Es war eine kleine Sensation damals, dass im Plänterwald, mitten in Ostberlin und direkt an der Spree, Punkbands spielten. Sonst sorgte der Staat mit aller Macht dafür, dass dieser ›Schund‹ nirgendwo auftauchte, Anfang der Achtziger wurden Punks auf der Straße verhaftet. Die Konzerte sprachen sich herum wie ein Lauffeuer, offiziell wurden sie verschwiegen.
Simone Schmollack, Frauenredakteurin der taz-Inlands-Redaktion ist eine der taz-Autorinnen im neuen Berlin Reiseführer des Trescher Verlags, die ihren ganz persönlichen Lieblingsort in der Stadt beschreiben. 471 Seiten, 16, 95 Euro.
Ich tanze Pogo, nein, ich hüpfe unkontrolliert hin und her, schmeiße meinen Kopf von der einen Seite zur anderen, genau so wie das die anderen machen, und manchmal gröle ich mit. Punk unterm Riesenrad, das ist Freiheit und Abenteuer, Romantik und Wildheit. Das ist Widerstand gegen die Staatsgewalt.
Von all dem ist heute nichts mehr zu spüren. Der Vergnügungspark ist seit zehn Jahren geschlossen, nachdem er in Spreepark umbenannt wurde und alle Investoren an ihm scheiterten. Das Gelände liegt brach, es gibt keine Karussells mehr, keine Buden, keine Eisstände, nur wilde Wiesen und überwucherte Plätze. Aber die Bühne steht noch, sie ist mit einer Plane abgedeckt, man kann sie sich anschauen. Jeden Sonntag gibt es Führungen über das abgesperrte Areal. Ein Rundgang ist eher ein ruhiger Spaziergang durch einen riesigen Naturpark als ein schrilles Rummelvergnügen.
Unerwartete, unspektakuläre, dafür umso ungewöhnlichere Lieblingsorte in Berlin beschreiben 15 Autoren der taz im neuen Berlin Reiseführer des Trescher Verlags. Das umfangreiche 471 Seiten Werk ist informativ, kenntnisreich und praktisch. Auch dank der herausnehmbaren Faltkarte. Ob Kultur, Szene oder Ausflüge ins Grüne - Berlin Besucher werden schrittsicher an die Hand genommen.
Susanne Klimann, Rasso Knoller, Christian Nowak: Berlin, Trescher Verlag 2011, 471 Seiten, 400 Farbfotos, 17 Detailkarten, 16, 95 Euro
Das Punkkonzert damals hat noch andere sinnliche Nebeneffekte: Plötzlich steht er neben mir. Nickelbrille, Fleischerhemd, Hirschbeutel, eine Kette mit einem Holzkreuz um den Hals. Das Kreuz zieht den Hals des Jungen weit nach unten. Ich hopse wild um ihn herum, dabei starre ich unentwegt auf sein Kreuz. »Weil ich für den Frieden bin«, schreit er mir ins Ohr. Ich hüpfe weiter, die Band gönnt sich keine Pause. Nach einer Weile brüllt er: »N’ Bier?« »Neeeeee.« Irgendwann zaubert er aus seinem Hirschbeutel eine Flasche Korn. Ich nehme einen Schluck, das Zeug schmeckt wie eine Mischung aus Terpentin, Spiritus und Benzin, es heißt nicht umsonst ›Blauer Würger«. Aber das Hopsen wird leichter, auch der Krach lässt sich so besser ertragen. Später kriechen der Typ und ich ins Gebüsch und knutschen.
Führungen im Spreepark: sonntags, jeweils 13 und 16 Uhr, 15 Euro.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“