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diepgens sturzBerlin wird endlich Hauptstadt

Er hat immer gewollt, dass Berlin Hauptstadt wird. Jetzt muss Eberhard Diepgen die Konsequenzen tragen. Nach dem Fall der Mauer konnte er noch zehn Jahre nach den alten Westberliner Prinzipien weiterwursteln: Entscheidungen vertagen, Freundschaften pflegen, die Sozialdemokraten schikanieren. Jetzt hat ihn das neue Berlin einfach hinweggefegt.

Kommentarvon RALPH BOLLMANN

Wer weiß, würde sich nicht das Rampenlicht von Medien und Bundespolitik auf die Berliner Szenerie richten, dann wäre Diepgen womöglich auch über die Bankenkrise nach dieser Manier hinweggekommen. Dass er damit nicht mehr durchkommt, hat er womöglich noch immer nicht wirklich begriffen. Sonst hätte er schon gestern klipp und klar erklärt, dass er bei der fälligen Neuwahl nicht mehr antritt.

Beim Krisenmanagement hat der Schönwetterpolitiker Diepgen so grandios versagt, weil die Voraussetzungen für das bequeme Regieren entfallen sind: das Feindbild PDS und die führungsschwache SPD. Die PDS ist – selbst in der einstigen „Frontstadt“ – für die Wähler längst nicht mehr das Schreckgespenst, zu dem Diepgen sie machen möchte. Die SPD hat das erkannt und sich vor allem deshalb zum Bruch der Koalition entschlossen. Die Berliner Sozialdemokraten sind nicht mehr bereit, die tollpatschigen Erfüllungsgehilfen der Union zu geben. Auch das hat mit der Hauptstadt zu tun – vor allem mit der Nachhilfe, die Schröders Bundespartei hinter den Kulissen erteilt hat, weil sie das Berliner Elend seit dem Regierungsumzug so hautnah verfolgen konnte.

Vollmundig hat sich Diepgen stets zur Einheit bekannt – und in Wahrheit doch alles getan, um das politische Zusammenwachsen der Stadt mit polarisierenden Parolen zu torpedieren. Diese Strategie geht nicht mehr auf: Im Westen gilt die PDS mittlerweile als ganz normale Partei. Weil sie kaum noch andere Argumente hat, wird die affärengeschüttelte CDU den Antikommunismus trotzdem noch einmal zum Wahlkampfthema machen. Für eine Mehrheit dürfte es nicht reichen.

Auch eine neue Koalition aus SPD, PDS und Grünen wird vermutlich nicht allen Ansprüchen an metropolentaugliches Personal gerecht. Aber sie wird die politische Spaltung der Stadt überwinden helfen – und sie wird Schluss machen mit jener peinlichen Bockigkeit, die Diepgen gegenüber der Bundesregierung an den Tag legte – ob es nun um die Finanzen ging oder um seinen privaten Kampf gegen das Holocaust-Mahnmal.

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