■ Kommentar: Berlin ohne Linie
Bereits zum vierten Mal hat Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) in seiner noch kurzen Amtszeit zugeschlagen und ein langjährig besetztes Haus räumen lassen. Dummerweise müßten dafür eigentlich die klaren Vorgaben der Berliner Linie eingehalten werden, die seit 1981 die Voraussetzungen für eine Räumung benennt. So wagte der Aufräumsenator jedesmal einen neuen Eiertanz. Mal wurden langjährige Bewohner eines Hauses zu Neubesetzern umdefiniert, mal wurden sie schlicht als nichtexistent behandelt. Das ermüdete nicht nur die Opposition, sondern offensichtlich auch Schönbohm selbst. So versucht sich nun nur noch sein Staatssekretär Böse in Dialektik: Die Voraussetzungen der Berliner Linie seien zwar nicht erfüllt, trotzdem sei diese eingehalten worden. In Schönbohms eigener Erklärung taucht die Berliner Linie konsequenterweise gar nicht mehr auf. Statt dessen wettert er gegen Außenseitergruppen, denen man nicht mehr gestatten dürfe, „das Bild und das innere Klima unserer Stadt zu bestimmen“. Sein Sprecher Thomas Raabe wird noch deutlicher: „Die Berliner Linie muß hinter anderen Gesetzen zurückstehen.“ Da wurde endlich einmal ausgesprochen, was eh schon alle wußten. Danke, Herr Schönbohm! Eigentlich sollte man nun Proteste vom Koalitionspartner SPD erwarten. Aber auch für die Sozialdemokraten ist die Berliner Linie offensichtlich nur noch unliebsamer historischer Ballast, der an das eigene Scheitern im Umgang mit Hausbesetzern erinnert. 70 Obdachlose mehr oder weniger, wen juckt das schon. Gereon Asmuth
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