: Berlin kein Tummelplatz der Gauner
■ Bericht der »Gewalt-Kommission« liegt vor/ Leichter Rückgang der Kriminalität zu verzeichnen/ Mehr Freizeitheime für Jugendliche gefordert/ Polizeigewerkschaft: Bericht ist überflüssig
Berlin. Entgegen allen Unkenrufen ist Berlin kein Tummelplatz der Gauner. Gemessen an der Einwohnerzahl ist die Kriminalitätsbelastung sogar rückläufig. Bei Straftaten ging sie allgemein um 12,7 Prozent und bei Rohheitsdelikten um 7,4 Prozent zurück.
Im Vergleich zu anderen Großstädten wie Hamburg oder München nimmt Berlin keine herausragende Stellung ein. Das geht aus einem Zwischenbericht der »Unabhängigen Kommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt in Berlin« hervor, den Innensenator Heckelmann gestern dem Senat vorlegte. Die Kommission war im August 91 von Heckelmann eingesetzt worden, um die Ursachen des Gewaltanstiegs in der Stadt zu analysieren und mögliche Gegenmaßnahmen zu entwickeln. In der Kommission sind Vertreter von zehn Senatsressorts, die Ausländerbeauftragte sowie neue Wissenschaftler vertreten.
Von dieser allgemeinen Entwicklung sind in einzelnen Deliktgruppen aber gravierende Abweichungen zu verzeichnen. So ist die Zahl der Raubdelikte generell um 6,6 Prozent gestiegen, auf öffentlichen Straßen und Plätzen ist sogar ein Anstieg um 30 Prozent zu verzeichnen. Dort hat auch die Gefahr einer gefährlichen und schweren Körperverletzung um 4 Prozent zugenommen, während allgemein die Zahl dieser Delikte um 10 Prozent abgenommen hat.
Raub und Körperverletzung sind auch die Straftatbestände, die überwiegend unter dem Stichwort Jugendgruppengewalt firmieren. Allerdings werden die wenigsten Mitglieder einer Jugendgruppe kriminell. Nur 10 bis 20 Prozent von ihnen treten strafrechtlich in Erscheinung. Allerdings hat sich auch das Erscheinungsbild der Gruppen geändert. »Gangs«, die sich anhand ihres Namens oder ihrer Kleidung identifizieren ließen, existieren kaum noch. Die Kleingruppe dominiert das Geschehen.
Die Kommission empfiehlt, vor allem im Ostteil Berlins »ein plurales Angebot von Jugendfreizeiteinrichtungen« für die Jugendlichen zu schaffen, die, so Innenminister Heckelmann, »aus der täglichen Fürsorge der allmächtigen Staatsgewalt entlassen sind«. Zudem soll an den Schulen eine Kampagne gestartet werden, »die das Bewußtsein fördert, wir müssen geschlossen gegen Gewalt vorgehen«.
Die Kommission fordert auch den Ausbau geeigneter Einrichtungen, die Hilfe und Zuflucht für betroffene Kinder, Jugendliche und Frauen bieten. So soll nach ihrem Willen ein Krisen- und Beratungszentrum für vergewaltigte Frauen und Mädchen eingerichtet und in einem Modellversuch Mädchen in Selbstverteidigung unterrichtet werden. Die bestehenden Einrichtungen für Frauen, so die Einschätzung der Gewaltexperten, seien bis an die Grenze ihrer Kapazität ausgelastet.
Generell kommt die Kommission bei ihrer Analyse der Maßnahmen gegen Gewaltprobleme in Berlin zu dem Resultat, »daß bisher ein einseitiger Schwerpunkt bei repressiven bzw. eingreifenden Reaktionen liegt«.
Wenig Konkretes kann der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Burckhard von Walsleben, in dem Bericht der Kommission erkennen. So würden zwar sinnvollerweise Freizeiteinrichtungen für Jugendliche gefordert, doch habe der Senat erst vor zwei Monaten in diesem Bereich massive Mittelkürzungen vorgenommen. Hier wisse anscheinend im Senat die eine Hand nicht, was die andere tue. Dieter Rulff
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