: Berlin ist nicht Bangkok, aber...
Zur Debatte um Wohnungsnot und Bevölkerungswachstum ■ K O M M E N T A R
Politiker, die Tabus brechen wollen, genießen immer Sympathievorschuß. Signalisieren sie doch, daß sie mit den alten Klamotten aufräumen, über vorher nicht zu überwindende Hindernisse hüpfen und das Unmögliche wahr machen. Der Bausenator möchte gerne ein solcher Politiker sein.
Niemand wird heute bestreiten, daß viele Wohnungen gebaut werden müssen. Die Frage nach der „Das-Boot-ist-voll„ -Diskussion ist deshalb auch eine rhetorische. Diejenigen, die Berlin zur multikulturellen Stadt erklärt haben, werden auch unseren Nachbarn nicht die Tür weisen. Doch groß ist die Scheu vor der notwendigen Konsequenz. Berlin ist nicht Bangkok. Aber warum sollen die Menschen nicht dichter zusammenrücken, warum soll es keine Hochhäuser geben und warum soll nicht eine Grünfläche bebaut werden? Die meisten, die dagegen argumentieren, wohnen gut. Stellen wir dem Bausenator andere Fragen. Warum eigentlich interessiert ihn nur die Quantität? Klotzen will er, nicht kleckern. Aber was? Wo sind die Blockheizkraftwerke und die Kraft -Wärmekopplungen, die Kompostierungsanlagen und die begrünten Dächer? Seine Gier nach Bauland macht vor der grünen Wiese nicht halt. Das bringt Verantwortung auch für die AL mit sich. Solange Baum- und Grünfetischisten um jeden Grashalm ein Geschrei machen, solange die Randbebauung einer „Grüntangente“ zwischen Britz und Moabit noch nicht einmal gedacht werden darf, solange machen die Tentakel des Bausenators auch vor den Feldern nicht halt. Und eine AL, deren Vorschläge sich auf die Überbauung von Straßenland und die Beseitigung von Leerstand richtet, zeigt, daß sie das Problem nicht ernst nimmt. Und schlimmer noch, sie interessiert sich auch nicht für ihre politische Verantwortung. Denn: Wenn erst die Containerbewohner durch Neukölln demonstrieren, sind die Neuwahlen nicht mehr weit.
Brigitte Fehrle
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen