: Berlin blüht der 1. Mai
AUF DIE STRASSE Köfte, Kommunisten und Nazi-Blockierer: Die taz stellt das Programm zum Tag der Arbeit vor
■ Für die Polizei wird der 1. Mai erneut der größte Einsatz im Jahr: Rund 7.000 Beamte werden im Einsatz sein, in der Walpurgisnacht bereits 3.000.
■ Polizeipräsident Klaus Kandt will an der Doppelstrategie der letzten Jahre festhalten: Grundsätzlich Zurückhaltung, bei Straftaten aber konsequentes Einschreiten. Bei den Protesten gegen einen NPD-Aufmarsch in Schöneweide und auf der „Revolutionären 1. Mai“ am Abend sollen zudem Übersichtsaufnahmen per Video angefertigt werden. Drei Helikopter stehen dafür bereit.
■ Zudem werden zehn Staatsanwälte im Dienst sein, um Haftbefehle gegen Randalierer zu prüfen. Im letzten Jahr landeten 123 Krawallmacher im Gewahrsam, 9 erhielten Haftbefehle – so wenige wie lange nicht.
■ Größter Aufzug am 1. Mai dürfte die 18-Uhr-Demo von Kreuzberg nach Mitte werden. Mehr als 10.000 Teilnehmer werden hier erwartet. Etwas weniger dürften es beim DGB vorm Brandenburger Tor und bei den Blockierern in Schöneweide werden. Eines schlägt sie alle: Zum Kreuzberger Myfest werden wohl wie im Vorjahr Zehntausende kommen.
VON KONRAD LITSCHKO
Walpurgisnacht mit HipHop
Motto: „Gegen Rassismus und soziale Ausgrenzung“
Darum geht’s: Schon zum zweiten Mal wandert die „antikapitalistische Walpurgnisnacht“ in den Wedding. Mit HipHop und Punk soll ab 15 Uhr am Bahnhof Gesundbrunnen gegen Gentrifizierung und Alltagsrassismus angesungen werden, ab 20.30 Uhr auch mit einer Demo andemonstriert.
Stars: The Incredible Herrengedeck (Chanson-Punk), Gitta Spitta (HipHop aus der JVA Plötze).
Krawallfaktor: Auch wenn die Polizei groß auffahren wird: Es wird wohl friedlich bleiben – wie im letzten Jahr.
Zum Henker am Vorabend
Motto: „Gemeinsam gegen Nazis“
Darum geht’s: Es ist das Warm-up für die Neonazi-Blockaden am 1. Mai: Schon in der Walpurgisnacht ruft die Antifa zur Demo nach Schöneweide, 17 Uhr. Vorbei an den Nazi-Läden „Henker“ und „Hexogen“ soll die Schließung ebenjener gefordert werden. Danach Konzert.
Star: Atari Teenage Riot. Das Digi-Hardcore-Trio wurde 1999 vom 1.-Mai-Lauti weg wegen Gewaltaufrufen verhaftet (dafür aber nie angeklagt). In Schöneweide sind sie mit DJ-Set dabei.
Krawallfaktor: fifty-fifty. „Henker“ & Co sind Antifa-Feindobjekte. Aber: Auch 2010 ging die Vorabenddemo durch die Brückenstraße – friedlich.
Per Fahrrad zu mehr Lohn
Motto: „Gute Arbeit. Sichere Rente. Soziales Europa.“
Darum geht’s: Sie eröffnen traditionell den 1. Mai: die Gewerkschafter. Auch die Forderungen bleiben klassisch: für Mindestlohn und mehr Mitbestimmung. Diesmal neu: für eine soziale EU-Krisenpolitik. Um 9 Uhr Treffpunkt am Hackeschen Markt getroffen, ab 10 Uhr geht’s zum Brandenburger Tor – zu Fuß, Fahrrad und Motorrad.
Star: Lars Lindgren. Der Schwede ist Chef der Europäischen Transportarbeiterföderation
Krawallfaktor: null. Bratwurst statt Bambule.
Nazis blockieren in Schöneweide
Motto: „1. Mai nazifrei! Nazis und Rassisten blockieren!“
Darum geht’s: Um 12 Uhr will die NPD mit 500 Anhängern in Schöneweide aufmarschieren – und ein Großbündnis will genau das mit Sitzblockaden verhindern. Parteien, Antifa, die Eisbären, Eiserne Union, diverse Electro-Clubs – über 6.000 Gegenprotestler werden erwartet. Sie treffen sich um 10 Uhr am Bahnhof Schöneweide. Wer will, auch schon um 9 Uhr zur gemeinsamen Anfahrt an den Bahnhöfen Ostkreuz und Neukölln. Und dann – wird hingesetzt.
Star: Eva Högl. Die SPD-Spitzenfrau und NSU-Aufklärerin gehört zu den Blockade-Promis. „Keinen Millimeter“ werde man den Nazis einräumen, kündigte sie an. Damit hat sie das Potenzial, in die Fußstapfen ihres Parteigenossen Wolfgang Thierse zu treten. Der sitzblockierte bereits 2010 erfolgreich die NPD am 1. Mai.
Krawallfaktor: Von uns geht keine Eskalation aus, lautet die Aktionsparole des Bündnisses. Auch 2010 versperrten 10.000 Berliner den Nazis den Weg im Prenzlauer Berg. Trotzdem dürfte es unübersichtlich werden: Wollen die autonomeren unter den Protestlern doch jeglichen NPD-Aufmarsch schon „vorm Entstehen verhindern“.
Tanz das Multikulti
Motto: „Heraus zum 11. Myfest!“
Darum geht’s: Caipi, Köfte, Karaoke. Mit 18 Bühnen und unzählig mehr Grillständen wird das alte Kreuzberg 36 wieder zum dichtgetümmelten Partyviertel, von 13 Uhr bis in die Nacht. Feiern für Multikulti und gegen steigende Mieten. Vor allem aber: feiern.
Stars: Viele. Mehr als 100 Künstler haben sich angekündigt. Highlights: Knattertones (Bullenwinkel-Bühne), The Movement (Barrio Antifascista), Ganjaman (Soulfood Sound System).
Krawallfaktor: Erst zur Aftershow. Nach Abschluss der Konzerte werden es sich wohl einige Partytrunkene wieder nicht nehmen lassen, ihre Alkoholbehältnisse zu werfen und/oder zu entfachen. Inzwischen die verlässlichsten Festnahme-Kandidaten am 1. Mai.
Unangemeldet gegen Miethaie
Motto: „Schnauze voll: Verdrängung stoppen, Zwangsumzüge verhindern, Mietstreik jetzt!“
Darum geht’s: Zum dritten Mal wird am 1. Mai auch unangemeldet demonstriert: Um 17 Uhr wollen Linke inmitten der Menge auf dem Mariannenplatz gegen „Rendite mit der Miete“ protestieren.
Protagonistin: Eine mit tragischer Geschichte: Rosemarie F. Die Rentnerin starb im April, nur zwei Tage nach ihrer Zwangsräumung in Reinickendorf. Für die Protestler ein Fanal, das eine mietenpolitische Wende einläuten müsse.
Krawallfaktor: Bisher immer ruhig. Auch auf Polizeiseite, die stets nur Zivilbeamte schickte, diese aber zuhauf. Allerdings haben auch Autonome den Aufzug für sich entdeckt – als Alternative zur angemeldeten, vermeintlich „zu angepassten“ 18-Uhr-Demo.
„Ins Herz der Bestie“
Motto: „One Solution, Revolution! Zusammen kämpfen gegen Krise, Krieg und Kapitalismus“.
Darum geht‘s: Die „Revolutionäre 1. Mai“-Demo zieht es nach Mitte, ins „Herz der Bestie“. Gemeint ist Merkels Regierungsviertel, von dem aus, so die Autonomen, eine „Spur der sozialen Verwüstung“ angerichtet werde. Auch Thema: steigende Mieten und der Flüchtlingswiderstand. Los geht es deshalb am Spreewaldplatz, unweit der von den Asylsuchenden besetzten Schule. Am Springer-Hochhaus und der Wohnungsbaugesellschaft GSW in der Dutschke-Straße darf die Demo nicht vorbei – die Polizei lehnte das „zum Schutz der Glasfronten“ ab
Star: Eine griechische Delegation. Die Gewerkschafter und Oppositionspolitiker sollen ganz vorne in der Demo mitlaufen, als Zeichen „internationaler Solidarität“.
Krawallfaktor: Zuverlässig – die Demo ist Heimstätte des schwarzen Blocks. Allerdings verliefen die 1.-Mai-Vorwochen ruhig wie lange nicht. Nun hängt es vom Demoverlauf ab: Die Autonomen kündigten bereits „kreative Aktionen“ an, sollte die Polizei sie wie im Vorjahr vorzeitig stoppen.