■ Nachschlag: Benjamin Brittens „Curlew River“ in der Neuen Opernbühne Berlin
Fackeln tauchen den weiten Raum in ein unruhiges Licht. Wie in einer Höhle tröpfelt Wasser zu Boden. Aus der Stille erhebt sich ein gregorianischer Gesang: Mönche führen ein Mysterienspiel auf, das von der Gnade Gottes kündet, von kindlicher Unschuld und der Heilung einer Irrsinnigen. Der Grabungstrupp der Neuen Opernbühne Berlin, der seit acht Jahren nach vergessenen Werken der Musiktheatergeschichte schürft, hat diesmal die erste von Benjamin Brittens drei „Parabeln für Kirchenperformance“ zutage gefördert. „Curlew River“, uraufgeführt 1964, wendet die Handlung eines altjapanischen No-Spiels in eine christliche Legende. Weil Britten keine Nachahmung der fremden Tradition versuchen wollte, suchte er eine abendländische Entsprechung – und fand sie im mönchischen Mysterienspiel des Hochmittelalters. Wie im No-Theater standen nur Männer auf der Bühne, waren die Handlungen der Stücke schlicht, Mimik und Gestik stark stilisiert.
„Curlew River“, der Fluß der Brachvögel, trennt das Königreich des Westens von den östlichen Mooren. Ein Fährmann setzt Pilger über, die zum Grab eines heiligen Knaben streben. Die doppelte Exotik des wäßrigen Dramas wirkt leider etwas gesucht. Sumpfblüte oder Moorleiche? Brittens Musik strebt nach archaischer Schlichtheit, seufzende Glissandi und Zeitlupen-Triller werden so oft variiert, als wollte Britten die Ohren der Zuhörer wieder öffnen für die einfache Schönheit eines Intervalls, einer Klangfarbe. Doch öfters kippt die Intensität in Langeweile um.
An den hervorragenden Sängern und Musikern liegt das nicht. Wie bei vielen Opern Brittens besteht das Orchester nur aus wenigen Instrumenten. Dem stygischen Baß des Fährmanns (Jörg Gottschick) ist das Horn zugeordnet, Flöte und Bratsche der klagenden Mutter (Mark Adler). Trommeln und Glocken geben der Musik eine fernöstliche Note. Alexander Paeffgens Inszenierung betont den fremdartigen Charakter der Oper durch die weißgeschminkten Gesichter, die abgezirkelten Bewegungen der Darsteller.
Am Jahresende läuft die Optionsförderung des Senats für die Neue Opernbühne aus. Die Finanzierung danach ist ungewiß. Man kann nur hoffen, daß eine der originellsten und besten Off-Gruppen Berlins der Stadt erhalten bleibt. Miriam Hoffmeyer
In englischer Sprache. 18./19. und 21.–23.8., 20 Uhr, Kesselhaus der Kulturbrauerei, Knaackstraße 97
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