■ Querspalte: Benehmen beim Quickie
Es war einmal im Jahre 1996, als man noch „samstags mit einem Blindenstock durch die Fußgängerzone rennen“ mußte, wenn man bei jeder Scheußlichkeit wegsehen wollte. Dem muß Einhalt geboten werden, dachte sich einer der wenigen, die noch wußten, was Benimm, Anstand und Haltung bedeuteten. Nach dem einsamen Spaziergang durch das winterliche München, die Augen gen Himmel gewandt, um nicht all die Frauen mit Leggings und knutschenden Kinder erblicken zu müssen, und nach einer langen Nacht mit Don Quichote, entschloß er sich zur Tat. Ein Buch muß her, dachte sich Professor C Punkt Bernd Sucher, Theaterkritiker bei der Süddeutschen Zeitung. Edel und selbstlos wollte er sein kostbares Wissen über Lebensstil und Etikette mit dem gemeinen Volk teilen. Damit künftig jeder weiß, daß „Kopulation zwischen Tür und Angel [Quickie; d. Red.] nicht eben fein“ ist, wie man Austern ißt und wo von einem Zungenkuß unbedingt abgesehen werden sollte. Ein Kuß sei nämlich etwas Privates, denn, erklärt C. Bernd mit erhobenem Zeigefinger und viel Theaterdonner: „Ich darf nicht wildfremde Leute mit meiner Lust belästigen.“ Das elfte Gebot? Prüderie total? Nein, das wäre dem Humanisten viel zu banal. C. Bernds Ziel ist ein höheres. Er will „Sensibilität entwickeln“: Beim Abknutschen „möchte ich nicht Zeuge sein müssen, da fühle ich mich dann einsam und traurig“.
Wie die professorale Sensibilität aussieht, veranschaulicht er an einem volksnahen Beispiel: „Ich verlange doch gar nicht, daß dicke Frauen eingesperrt werden müssen.“ Nein, C. Bernd ist ein Vorbild an Rücksichtnahme: „Für mich ist das ein ästhetisches Problem.“ So erfüllte sich der Theaterkritiker seinen Traum. Nach all den beengten Jahren der Kritik an ein paar läppischen Schauspielern und Sängerlein der Bayerischen Staatsoper drängte es ihn nach mehr, hinaus auf die große Weltbühne, zu richten alle Menschlein. Widerspruch duldet er nicht: „Ich darf verbieten, was ich will, denn auf dem Buchumschlag steht C. Bernd Sucher.“ Clemens Heidel
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