piwik no script img

■ NormalzeitBella Italia

Schon länger wollte ich mal in die Pizzeria „Bella Italia“ hinter der Dreispitz-Passage in der Friedrichstraße gehen. Man sitzt dort auf einer Terrasse, die an das Veterinärmediziner-Gelände grenzt. Der Wirt besaß vor der Wende eine kleine Steh- Pizzeria in der Oranienstraße. Die Gelegenheit ergab sich, als ich zwei philippinische Kinder zum Essen einlud, um die ich mich ein bißchen kümmern sollte. Der Junge war 14, das Mädchen 13 Jahre alt. Sie wechselte gerade ins Gymnasium über und brauchte eine neue Zahnspange. Die alte war bereits an einer Stelle zerbrochen. Nichtsdestotrotz trug sie sie täglich. Die Mutter war nicht mehr krankenversichert und der Vater verschwunden. Ich hatte schon fast alle mir bekannten Zahnärzte gefragt, ob sie bereit wären, die Zahnspangenerneuerung auf meinem Krankenschein vorzunehmen. Alle hatten mir gesagt, daß sie mit Zahnspangen nichts zu tun hätten. Dafür müßte ich einen Kieferorthopäden konsultieren. Einen solchen kannte ich jedoch nicht. Zu meiner Zeit, als ich noch selbst gegen eine Zahnspange und meine Mutter kämpfte, gab es diese Spezialisierung kaum.

In der Staatsbibliothek entdeckte ich dann einige kritische Aufsätze über Zahnspangen, in denen von den mangelhaften Erfolgen bei der Korrektur vorstehender Zähne mittels einer Zahnspange die Rede war. Auch davon, daß dieses Gerät im Munde junger Mädchen zumeist nur dazu benutzt wird, um ihnen die Kontaktaufnahme mit jungen Männern zu erschweren, wenn nicht gar auf Jahre unmöglich zu machen. In den USA hatten sogar etliche Spielfilme diese elterliche Behütungs-Methode thematisiert, einer mit Cary Grant in der Hauptrolle. Die Artikel kopierte ich mir und nahm sie mit zum Italiener, wo ich sie dem Mädchen gab. Ich wollte ihr damit diese blöde Zahnspange ausreden. Das sagte ich ihr auch, daß sie viel schöner ohne aussehe und daß das kaputte Quatsch-Ding in ihrem Mund zu nichts gut wäre. Sie lächelte höflich und blätterte in den Kopien. Ihr Bruder meinte schließlich, nachdem wir gegessen hatten: „Du mußt verstehen, sie kann ohne Zahnspange nicht leben.“ Ich schaute verdutzt seine Schwester an und glaubte es ihm sofort.

Ihr versprach ich, gleich nächste Woche einen Termin bei der Kieferorthopädin abzumachen, die sie bisher behandelt hatte. Es war eine Engländerin im Wedding. Das Mädchen gab mir die Telefonnummer noch einmal. „Vielleicht kann man mit der Ärztin eine Ratenzahlung vereinbaren? Jedenfalls so lange, bis Mama wieder krankenversichert ist?“ Beim Zahlen bat ich um eine Rechnung. Den Kindern erklärte ich, das Essen von der Steuer absetzen zu können, wenn ich hinten auf die Rechnung „Gespräch mit Informanten“ schriebe. „Was soll ich schreiben, worüber wir uns unterhalten haben?“ fragte ich die beiden. „Schreib: über Zahnspangen“, riet mir das Mädchen. Helmut Höge

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen