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■ ARTUR, BERLINOIDBeim Barte des Propheten, III

Der nächste Morgen begann fürchterlich. Gerda, Herrmann, ihr Ehemann, Artur und Günter, die Logiergäste, saßen um den großen Tisch herum in der Küche, bis auf Artur durchweg adynam, hohläugig und grau, irgendwie schlaff und verelendet. Kaffee gab's, Orangensaft und aufgebackene Croissants und Kirschmarmelade, selbst eingekocht von Herrmanns Mutter, ein gutes Frühstück. So recht aber wollte keine Stimmung aufkommen. Dauernd strich Herrmann mit Daumen und Zeigefinger über seinen Schnauzbart, Günter, im Jogginganzug und Laufschuhen, leerte in einem asketischen Anfall sein viertes Glas Orangensaft, Artur bestrich liebevoll sein duftendes Hörnchen, als es aus Herrmann hervorbrach: »In welchem Bett warst du eigentlich heute nacht, kannst du mir das mal sagen, ja?« maulte er seine Gerda an.

»Ich? In welchem Bett? Wieso?« entgegnete diese und wischte eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht. »Antworte nicht mit einer dummen Gegenfrage! Du willst nur Zeit für Ausreden gewinnen, ich kenne dich!« pädagogisierte Herrmann keifend. Günter tupfte sich nervös Orangensafttröpfchen aus dem Bart. »Sag schon, ja?!« Herrmanns Stimme hatte einen lächerlich drohenden Unterton angenommen. »Ach weißt du, ich bin mindestens so betrunken und auch so müde wie du gewesen, du hast mich doch noch so zärtlich mit deinem Bart gekitzelt, Herrmann«, lächelte Gerda. »Hab, ich nicht, ich bin ganz allein aufgewacht«, knurrte Herrmann mit bestechender Logik.

»Na klar, ich habe ja auch Kaffee und das ganze Frühstück gemacht heute morgen, Herrmann«, lächelte Gerda nachsichtig.

Herrmann fingerte erneut in seinem Bart, stützte das Kinn in die Handinnenfläche und schaute aus schmalen Augen erst Gerda, dann Günter und dann Artur an.

Plötzlich bekam sein Gesicht einen leicht blöden Ausdruck, und er stutzt verblüfft. Günter trocknete seinen Bart noch heftiger von Orangensaft, Artur zwirbelte seine Enden so, daß sie steif in die Höhe standen. Scheinbar völlig unbeteiligt pickte Gerda konzentriert Krümel ihres Croissants mit der Spitze des rechten Zeigefingers auf, den sie immer wieder wie einen Schnuller zwischen ihre Lippen führte.

Ganz allmählich begann ihr Oberkörper zu vibrieren, dann gluckste ein perlendes Lachen aus ihr heraus. Günter konnte beim besten Willen nicht mehr und sprühte einen Mundvoll Orangensaft quer über den Tisch, Artur tunkte das Hörnchen vorsichtig in seinen Milchkaffee, lachte in kleinen Abständen schnaubend durch die Nase. Herrmann hatte den Kopf in die Hände gestützt und massierte mit den Fingerkuppen seine Stirn, dann wieherte er ein so vitales Lachen los, daß keiner der vier sich mehr halten konnte, bis ihnen — endlich — allen die Tränen in den Augen standen und sie glaubten, diese Welt gehöre allein ihnen. Clemens Walter

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