■ Bei der SPD-Basisbefragung wird auch über einen Paradigmenwechsel in der Politik entschieden: Der Kampf der finalen Enkel
Der Kampf um die Engholm- Nachfolge in der SPD eignet sich weniger als Glaubenskrieg denn als Richtungsstreit. Freilich keiner, der sich in traditionellen Kategorien beschreiben ließe. Denn es herrscht Enkeldämmerung in der Sozialdemokratie. Jene selbstbewußte Erfolgsriege hatte bis Ende der 80er Jahre die Partei im Sturm erobert und einen neuen postmodernen Politikstil geprägt, ehe sie von der vielgeschmähten Geschichte jäh auf dem falschen Fuß erwischt wurde. Zäh klammern sie sich seither an die langsam schwindende Macht. Der Kampf um den finalen Enkel hat begonnen.
Wenn Gerhard Schröder zur unvermeidlich gewordenen Laudatio auf die eigene Unberechenbarkeit ansetzt, dann bekommt man in der Partei Zustände. Noch einer wie Oskar, der schon mit bacchantischem Spieltrieb seine betulichen Sozis zur Weißglut getrieben hatte. Seine Stilisierung zur letzten sozialdemokratischen Antwort auf den Kohlschen Machtinstinkt erscheint vielen als eher peinlich, etwa die Machomanier, der eigenen Partei mit der Peitsche zu drohen oder den charismatischen Arbeiterführer auf der Werft zu proben, das Herumkokettieren mit wirtschaftspolitischer Präpotenz; nicht zu reden von der Umgruppierung im sozialdemokratischen Familienalbum vom vierten Brandt-Enkel zum ersten Schmidt-Sohn. Und dies alles nur, weil der Kandidat sich vor Schnappschüssen aus dem VW- Werk kaum retten kann.
Gleichwohl wird in der Partei das Verlangen Schröders geteilt, jenes verheerende Vakuum, das Engholm hinterlassen hat, möge so rasch als möglich ausgefüllt werden – freilich nicht nur mit einer Überdosis Dynamik. Muß es also schon wieder einer wie Oskar sein? Es muß, sagen selbst hartgesottene Parteirechte, jene, die pausenlos nach dem „eisernen Besen“ verlangen, und sich deshalb von Schröders autoritärem Habitus angezogen fühlen.
Doch Schröder mag sich noch so gerieren, um seiner Partei einen neuen Anfang zu versprechen, er bleibt das letzte Aufgebot einer untergehenden Enkelschickeria. Nach Lafontaines hedonistischem Credo und Engholms Jargon der Kultureigentlichkeit ist vom einstigen Enkelflair nur noch Schröders Pose des reinen Dezisionismus geblieben.
Die Kandidatin war klug beraten, sich noch rechtzeitig vom Ruf der Enkelin zu distanzieren, um nicht in den Abstiegssog der „schmucken Herrenriege“ zu geraten. Doch Heidi Wieczorek-Zeul kann wohl kaum damit rechnen, daß man ihr die Entscheidung, „nur“ für den Parteivorsitz zu kandidieren, als Akt von Bescheidenheit honorieren wird. Außerhalb eines Parteizeltes hätte sie noch die erste Wahl zu gewinnen, weshalb sie wohlwollende Parteifreunde auch mit dem stellvertretenden Parteivorsitz als bestens bedient sehen. Wo andere Spitzengenossinnen wie Renate Schmidt oder Regine Hildebrandt satte Basismehrheiten erzielen würden, muß die Hessin eher mit einigen Reserven rechnen.
So klagt die Kandidatin seit Wochen über ihr tiefsitzendes Negativimage; doch das Mitleid mag sich nicht einstellen. Daß man ihr die Läuterung weniger abnimmt als ihren männlichen Altjusovorderen ist leider wahr, aber auch nicht ganz falsch. Ihr südhessischer Fundibezirk gilt nämlich noch immer als Speerspitze der Parteilinken, der erst jüngst drauf und dran war, die Bonner Partei in der Asylfrage in eine weitere Verlegenheit zu stürzen. So plausibel die Begründung ihrer Kandidatur – das Plädoyer für Teamwork und gegen die Enkelegomanien – auch klingen mag, der gleichzeitige Aufruf zur Profilschärfung läßt Parteikenner eher neue zänkische Dualismen befürchten.
Die Partei als programmatisches Bollwerk in Zeiten rasender Veränderung? Kann dies ernsthaft die rettende Botschaft sein? Zweifel wehrt die plötzlich um Ausgleich bedachte Kandidatin mit dem Hinweis ab, sie habe mit keinem der drei genannten Kanzlerkandidaten Probleme. Aber vermutlich könnten alle drei mit ihr Probleme bekommen.
Wer Rudolf Scharping auf dem Sonderparteitag im November letzten Jahres an der Seite der Brandt-Witwe die Bonner Beethovenhalle durchschreiten sah, der konnte schon ahnen, daß hier einer seine Stunde für gekommen hielt. Keinen Millimeter wich er während des Willy-Memorials von ihrer Seite, was eigentlich Engholms Amt gewesen wäre. Hier fühlte sich einer legitimiert, an Brandts Ende Willys Liebling gewesen zu sein, so daß es aus seiner Sicht eines weiteren Diadochenkampfes gar nicht mehr bedarf. Durchaus im Sinne des verstorbenen Ehrenvorsitzenden ist Scharping denn auch ganz Repräsentant eines Paradigmenwechsels, den er der SPD nach dem Realitätsverlust seit 1989 nunmehr verordnen möchte.
Wo die restlichen Enkel eher einem exzentrischen Politikstil frönen, ist der konservativste unter den SPD-68ern auf Mainstream, administrative Seriosität und sachpolitische Kompetenz getrimmt. Der Paradigmenwechsel umfaßt nicht nur eine Renaissance der Sozialpolitik, sondern auch gewiß Korrekturen am postmodernen Politikstil der späten 80er Jahre. So wird die Politisierung des eigenen Lebensstils von vielen Genossen nur noch als besitz-bourgeoise Unverschämtheit empfunden, zumal in Zeiten verschärfter Verteilungskämpfe, wo das Aufstiegsmotiv immer weniger einer realistischen Aspiration entspricht.
Es verwundert nicht, daß ihm dies von internen Gegnern nur als calvinistische Biederkeit und Provinzialität ausgelegt wird.
Unter den Vorbehalten gegen den Favoriten Scharping sind kaum ernsthafte politische Argumente auszumachen, sondern nur Geschmackslaunen von Gesichtskosmetikern. Als wenn er die Medienzombies noch rechtzeitig hätte Lügen strafen wollen, präsentierte sich Scharping am letzten Dienstag auf dem heißen RTL-Stuhl in Bestform. Detailsicher und schlagfertig servierte er seine Kontrahenten ab.
Es erscheint abwegig, darüber zu grübeln, ob Scharping sich doch noch mit Lafontaine in ein Tandem zwingen lassen könnte. Der Saarländer ist zum Mythos gegen '89 geworden, leibhaftiger Repräsentant aller mentalen Blockaden und kulturellen Reserven gegenüber der deutschen Fusion. Auch wenn er Ansätze von Einsicht zeigte: Viele würden ihm doch noch eine Legislaturperiode der Läuterung gönnen. Immer noch heften sich an seine Rockschöße die letzten Hoffnungen, nur das Schlimmste des Ungewollten zu verhindern. Doch das ist zuwenig für einen Paradigmenwechsel. Zumal Kohl als „Kanzler ohne Skandale“ in die nächste Wahlschlacht gehen wird und Lafontaine genüßlich das Stigma der mangelnden Seriosität anhängen würde.
Das KandidatInnen-Rennen in der SPD war eine einzige Klischee- Parade. Ein weiteres Merkmal hierfür, wie sehr in dieser Partei das Maßstäbliche des Politischen in den letzten Jahren verloren gegangen ist. Eigentlich steht zu viel für die Republik auf dem Spiel, als daß die SPD ihre Entscheidung den Unwägbarkeiten einer Basis- Befragung ausliefern sollte. Sie geht dennoch das Risiko ein. Ob man's ihr lohnt, wird sich zeigen. Norbert Seitz
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