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Archiv-Artikel

Behinderte bleiben draußen

Von Barrierefreiheit kann bei der Kommunalwahl keine Rede sein: Nicht einmal jedes zweite Wahllokal ist für Rollstuhlfahrer zugänglich, Wahlschablonen für Blinde sind „zu kompliziert“

VON NATALIE WIESMANN

Der Weg zur barrierefreien Kommunalwahl in NRW erweist sich als hürdenreich. Das Behindertengleichstellungsgesetz, das seit Anfang 2005 gilt, ist nicht bei den Kommunen angekommen: „50 Prozent unserer Wahllokale sind bereits für Rollstuhlfahrer zugänglich“, sagt der Dortmunder Wahlorganisator Manfred Sommerer stolz zur taz. Und seine Stadt stehe im Landesvergleich gut da. Wer keinem behindertengerechten Wahllokal zugeteilt sei, müsse einen Wahlschein anfordern, um woanders wählen zu können. Oder eben auf Briefwahl zurückgreifen.

Doch das Ziel der Barrierefreiheit ist keine Kür, sondern Pflicht, sie steht im Gleichstellungsgesetz festgeschrieben. Dazu gehört auch der hürdenlose Zugang zum Wahllokal. In der Kommunalwahlordnung ist jedoch eine kleines Hintertürchen offen gelassen worden: Im Sinne des Behindertengleichstellungsgesetzes sollen die Wahlräume „nach den örtlichen Verhältnissen“ barrierefrei ausgewählt und eingerichtet werden.

Auf einen Mangel an geeigneten Räumen berufen sich jetzt die Kommunen: Köln und Essen haben etwa 40 Prozent rollstuhlgerechte Wahllokale, in Gelsenkirchen sind es etwa 35 Prozent. Alle Kommunen betonen jedoch ihre vorbildliche Kennzeichnung behindertengerechter Wahllokale im Internet. Doch auch dies ist kein Entgegenkommen, sondern Pflicht.

Die seit Juni amtierende Landesbehindertenbeauftragte Regina Schmidt-Zadel ist unzufrieden mit der Umsetzung der Gleichstellungsgesetzes: „Viele Rollstuhlfahrer haben sich bei mir beklagt.“ Anfang September hatte sie die Städte und Kreise aufgerufen, die Barrierefreiheit umzusetzen. Sie sei sich zwar bewusst, dass behindertengerechte Zugänge etwas kosten würden. „Trotzdem spielt es eine große Rolle, dass Menschen mit Behinderung ihr Wahlrecht auch selbstständig und öffentlich ausüben können.“ Nicht jeder wolle gern zuhause per Brief wählen. „Das entspricht nicht meiner Vorstellung von einer gleichberechtigten Teilhabe behinderter Menschen am öffentlichen Leben“, sagt sie.

Drastischer drückt es Willibert Strunz, Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft „Hilfe für Behinderte“ aus. „Die Kommunen scheinen nicht begriffen zu haben, dass sie in punkto Behinderte nicht so weiter machen können wie bisher.“ Auch was den barrierefreien Zugang zu Internetseiten angeht, hätten die Kommunen kürzlich „einen Popanz aufgebaut“.

Dass es möglich ist, Barrieren abzuschaffen, zeigt die Stadt Bonn: 98 Prozent der Wahlstätten sind laut Verwaltung für Behinderte zugänglich. Außerdem werden dort Wahlschablonen für Sehbehinderte und Blinde zur Verfügung gestellt. Diese sind den anderen Städten zu kompliziert: „In jedem Bezirk und für jede einzelne Wahl müssen unterschiedliche Schablonen entwickelt werden“, erklärt unter anderem Detlef Feige, Sprecher der Stadt Essen. Für die Rollstuhlfahrer hat seine Stadt eine andere Lösung: „Die Wahlhelfer vor Ort haben sich bereit erklärt, zu viert die Personen hochzuhieven.“