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Beautiful Losers

Nie war New Yorks Anti-Folk-Hype so nah am Folk wie mit Jeffrey Lewis. Am Sonntag teilt er sich die Bühne der Tanzhalle mit seinem Labelkollegen Jacob Golden, dessen Singer/Songwriter-Verständnis ungleich abstrakter daherkommt

von GREGOR KESSLER

Es wäre ja auch zu einfach. Jeffrey Lewis schätzt Tuli Kupferberg, den inzwischen vermutlich zahnlosen, aber deswegen keinen Deut weniger aktiven Sänger der NYC-Beat-Folk-Legende The Fugs. Und Jeffrey Lewis schätzt Ira Kaplan, den wuschelköpfigen Anführer der Erwachsenen-Indie-Rock-Lieblinge mit dem spanischen Namen, Yo La Tengo. Lewis zeichnet sogar krakelig-chaotische Comics, in denen er die beiden irgendwo in New York City trifft. Wie eine Kreuzung aus den Fugs und Yo La Tengo klingt Lewis‘ Debüt Last Time I Did Acid I Went Insane And Other Favorites deswegen noch lange nicht.

Vielmehr ist Jeffrey Lewis der Leonhard Cohen der jungen New Yorker Anti-Folk-Bewegung, als deren Missionare vor ein paar Wochen die Moldy Peaches durch Europa zogen. Über kärgliches Akustikgitarrengeplänkel erzählt er wortreiche Geschichten aus seinem gerade 22 Jahre währenden Leben. Von jener jungen Dame etwa, mit der er auf dem Weg zum Chelsea Hotel ein paar Sätze wechselte – woraufhin er sich die folgenden Jahre und Jahrzehnte ärgern wird, nicht mehr aus dieser Begegnung gemacht zu haben. Oder von seinem letzten LSD-Trip, der in die falsche Richtung losging. Die Legende sagt, dass bei Liveauftritten Lewis‘ auch das Publikum seine eigene Version der Geschichte ins herumgereichte Mikrofon sprechen darf.

Verglichen mit dem eher extrovertierten Bühnengebahren der Moldy Peaches oder den etwas hüftsteifen Posen der Retorten-Diven von den Strokes, deren Songs er gerne covert, wirkt Jeffrey Lewis wie der Neo-Hippie dieser Clique. Er erzählt die Geschichten von schönen Verlierern in Form von Songs, die weder Anfang noch Ende haben, die auf rauschanfälligen Analogrecordern eingespielt werden und bei denen das Wort mehr als jede verstimmte Saite zählt.

Da ist Jacob Golden, der zweite Act des Abends, ganz anders. Auf Hallelujah World legt der ehemalige Sänger der Blanco Y Negro-Band Birthday offenkundig Wert darauf, jedem Ton seinen jeweiligen Platz zuzuweisen. Dazu hielt ihn vermutlich auch Produzent David Kosten an, gilt dieser doch als genialischer Elektronik-Tüftler mit einem goldenen Händchen am Mischpult und einem geschulten Ohr für den richtigen Sound. Jedenfalls sorgte Kostens eigene Platte – unter dem Alias Faultline auf Leaf – im vergangenen Jahr in den entsprechenden Kreisen für gehörig Furore. Goldens entrückt-melancholische Popsongs, die mancherorts gerne mit denen von Jeff Buckley verglichen werden, wirken durch Kostens elektronische Veredelung noch ein Spur losgelöster, manchmal bis zum Rand der Transzendenz.

Insofern widmen sich zwar beide Musiker des Konzerts, präsentiert übrigens von der neuen FSK-Musikredaktion GuTzKi, dem gleichen Genre des Singer/Songwritertums, nähern sich diesem jedoch aus diametral entgegen gesetzten Richtungen. Während Jeffrey Lewis den direkten Weg der wurmstichigen akustischen Gitarre und des erzählerischen Tonfalls nimmt, wählt Jacob Golden abstraktere, gelegentlich sogar experimentelle Umwege, die auf Platte die lohnenderen sind. Wer auf der kleinen Kiez-Bühne gewinnt, wird sich zeigen müssen.

Sonntag, 21 Uhr, Tanzhalle St. Pauli

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