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Beat-Labyrinth

Verleiht Experimentellem ungeahnte Sentimentalität: Der kalifornische Elektroniker Daedalus im Pudel

Auf dem Cover seines Debutalbums Invention posiert der kalifornische Elektronikproduzent Daedelus als Poét maudit: Er hat sich in Gehrock und mit Federkiel ablichten lassen und sieht so Arthur Rimbaud auf alten Fotografien zum Verwechseln ähnlich. Musiker mit solch romantischer Ader und Hang zur Dekadenz, die dem auch optisch Ausdruck verleihen wollten, waren bereits in der drogengeschwängerten kalifornischen Popszene der Sechziger („LSD-Barock“) anzutreffen. Daedelus untergräbt seine Inszenierung als Fin-De-Siècle-Bohemien jedoch mit einer Comicblase über dem Charakterkopf: Industriell gefertigte Utensilien wie Nagelknipser und Zahnbürste sind als Bleistift-Radierungen in die Bildergeschichte eingefügt.

Ähnlich nuanciert bis irritierend klingt auch die Musik. Daedelus hat ein Faible für prunkvolle elektronische Klanglandschaften. Seine Liebe zu gebrochenen Beats wird von einer stolpernden Bassdrum in ein wahres Labyrinth verwandelt. Ausgiebige Samples (von Easy Listening bis Cool Jazz) sind so nahtlos in- und übereinander geschnitten, dass ein Geräuschteppich entsteht, vergleichbar mit der übersteuerten Inflight-Berieselung im Einwegkopfhörer. Ganz der Raver, findet Daedelus zwischendurch aber zur intimen Melodie zurück, brilliert auf allen Arten seltsamer Instrumente – darunter Tintenstrahldrucker und Bassklarinette – und lässt die beiden Rapper MC Busdriver und Sach im abstrakt-rüden Flow über zwei seiner Tracks schnattern.

Daedelus baut so auf den Errungenschaften vergangener Popjahrzehnte auf, wird aber nicht zum Durchlauferhitzer der Musikindustrie, sondern arbeitet mittels V-Effekten an einem neuem Verständnis von Rhythmus und Sound. Damit steht er auf einer Linie mit einer Reihe zunehmend aktiver werdender junger US-amerikanischer Elektronikproduzenten, die sich um Labels wie Carpark, Plug Research oder Schematic geschart haben. Abgrenzungsarien, wie man sie im Elektronik-Europa gerne vornimmt, begegnet diese Posse mit geradezu gefährlicher Anything-Goes-Freundlichkeit. Ein Blick auf die Daedelus-Homepage zeigt unter der Rubrik „History“ ein wirres Tourtagebuch diesjähriger Auftritte, die meistens mit dem Satz enden: „Weiß nicht mehr, wie ich nach Hause gekommen bin.“

Das klingt nicht nur poetisch. Daedelus hilft, getreu dem Motto seines Labels Plug Research, dem Experimentellen ungeahnte Sentimentalität zu verleihen. Das verleiht wiederum den Hörern Flügel. Julian Weber

bei „America Offline“: Sonntag, 22 Uhr, Golden Pudel Club

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