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Archiv-Artikel

URTEIL IM KÖLNER POLIZISTENPROZESS: TROTZ MÄNGELN ZU BEGRÜSSEN Beamte ohne Korpsgeist

Ein Mensch ist tot. Erschlagen von Polizeibeamten. Dies darf man jetzt sagen, denn nichts anderes bedeutet „gemeinschaftliche Körperverletzung mit Todesfolge“, wofür die beteiligten Polizisten gestern verurteilt wurden. Mit zwölf bis sechzehn Monaten zur Bewährung blieb das Gericht unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft. So etwas ist in Prozessen gegen Polizeibeamte ungewöhnlich, denn in der Regel beantragt die Staatsanwaltschaft weniger als ein Jahr. Genau diese Grenze nämlich entscheidet darüber, ob die Polizisten ihren Dienst weiter versehen können oder entlassen werden müssen. Bewährung heißt in diesem Falle dennoch nur: Die Polizisten müssen nicht in den Knast, wo jeder andere Totschläger unweigerlich gelandet wäre.

Insoweit also ein Urteil, wie man es kennt und erwartet? Nein. Trotz seiner Mängel ist das Urteil zu begrüßen. Auch wenn sich das Gericht nicht zu einer Haftstrafe entschließen konnte, wurden hier Zeichen gesetzt. Wichtiger ist jedoch, dass zwei Kollegen der jetzt verurteilten Polizisten, die die Misshandlungen von Stephan N. gesehen hatten, das Verfahren überhaupt erst in Gang gebracht haben. Sie haben Anzeige erstattet. Verspätet, aber immerhin. Dies ist nicht üblich in Polizeikreisen. Im tradierten Verständnis sind Polizisten grundsätzlich Kumpels, auf die man sich verlassen kann und die man nicht anscheißt. Diesem Korpsgeist fühlen sich auch Polizisten verpflichtet, die im psychologischen Sinne keiner Gruppe angehören.

Beschuldigte Beamte werden in der Regel also erst einmal gedeckt – zumindest nicht beschuldigt. Unterbinden sie Misshandlungen nicht sofort und zeigen ihre Kollegen wie im Kölner Fall nicht sofort an, machen sie sich mit strafbar. Der ständige Appell von Innenministern und Polizeioberen, die Mauer des Schweigens zu durchbrechen, geht somit fehl. Die Kölner Beamten, die den Prozess ins Rollen gebracht haben, wussten dies und haben es in Kauf genommen. Wohl wissend, dass auch sie nicht ungeschoren aus diesem Prozess herauskommen werden. Wir wünschen uns mehr solche Beamten. OTTO DIEDERICHS