: Beamte in Bedrängnis und ...
■ Neß-Prozeß: Polizisten verstricken sich in Widersprüche / Fernsehjournalistin bestätigt Aussagen des Opfers
„Sie müssen sich doch auch gefragt haben: Was schütze ich da eigentlich?“ Richter Ulf Brüchner scheint den Worten des Zeugen Dieter Dommel, ehemals Leiter des Polizeieinsatzzugs Mitte, nicht recht glauben zu können. Dommel will nicht gesehen haben, daß hinter ihm der ARD-Journalist Oliver Neß Opfer einer brutalen Polizei-Mißhandlung wurde. Er habe eine Festnahmesituation absichern wollen, sagte der Beamte gestern als Zeuge vor Gericht aus. Zwei Polizisten – Olaf A. und Oliver H. – müssen sich derzeit wegen Körperverletzung im Amt während der Haider-Kundgebung auf dem Gänsemarkt im Mai 1994 verantworten.
Er hätte eine „Bedrohung von vorne“ abgewehrt, so Dommel, der mit Tränengas Journalisten und andere Demonstranten von Neß fernhielt. Eine „Bedrohung“ ist auf den Fernsehbildern aber nicht zu erkennen. Aufklären konnte Dommel diesen Widerspruch nicht.
„Wir wurden deutlich auf Abstand gehalten“, sagte gestern die Fernsehjournalistin Gita Eckberg über dieselbe Situation aus. Ihr Kamerateam hat die Bilder gedreht, die durch die Medien gingen. Sie und ihr Kameramann seien „gezielt“ mit Tränengas angegriffen worden. Oliver Neß habe sich „deutlich nicht gewehrt“, sich „völlig blank“ gezeigt und sei trotzdem brutal „von hinten angefallen“ worden. Angefallen wurde Neß eingestandenermaßen von dem Bereitschaftspolizisten Ralf M., der Neß als „Aufwiegler“ ausgemacht haben will. Es sei ihm um die Festnahme des „offensichtlichen Aggressors“ gegangen. Die Anklage gegen M. allerdings wurde vom Gericht „mangels Tatverdacht“ nicht zugelassen.
Bei seinem Bericht wurde aber offenbar nachgeholfen. Mit der ersten Fassung mußte Ralf M. bei Jens Hermann, Ex-Leiter der Bereitschaftspolizei, antanzen. Der fand diese Fassung „mißverständlich“, sagte er gestern aus. Die im Bericht erwähnten „erhobenen Arme“ von Oliver Neß – auf den Bildern eindeutig als Ich-ergebe-mich-Geste zu erkennen – mußte M. auf Aufforderung seines Chefs in einer zweiten Berichtsfassung als Angriffsgeste „verdeutlichen“. Vor Gericht aber hatte Ralf M. ausgesagt, dies sei ein „Zusatzbericht“ gewesen. Wo die erste Fassung geblieben ist, weiß niemand.
Auch der als „Fußverdreher“ angeklagte Oliver H. geriet am gestrigen Prozeßtag durch Zeugenaussagen in Bedrängnis: Er habe „tagelang nicht geschlafen, ihn quälten seelische Nöte“, berichtete Hermann über ein Gespräch mit H. „Er sah seine berufliche Entwicklung wegschwimmen.“ Dem Gericht hatte Oliver H. Glauben machen wollen, ihm sei erst nach Tagen klargeworden, daß er es sein könnte, den man sucht. Denn er hätte während des Einsatzes auch mal einen „Schuh in der Hand“ gehabt. Ob es Neß' Beine waren, ließ der Polizist offen.
Gegenüber KollegInnen an der Polizeifachhochschule ist er deutlicher geworden: Im November 1994 war Oliver H. deshalb von einer Polizistin aufgefordert worden, sich zu „bekennen“. Silke Mertins
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