: Beamte, Bürger, Betroffene...
■ Das Modell der Bürgerbeteiligung im Kreuzfeuer der Kritik von rechts - und links / Die Fachleute mauscheln, und der „Einzelfallbetroffene“ blickt nicht mehr durch
„Wenn nicht die Vertreter aller Behörden regelmäßig kommen, wird es schwierig, denn die schieben immer die Verantwortung auf den, der gerade nicht da ist“, sagte Walter Bühler von der Bürgerinitiative Karnickelberg aus Tiergarten. Damit hat er eine der wichtigsten Methoden erkannt, mit der gewiefte Verwaltungsvertreter Betroffenengremien aushebeln. Betroffenenbeteiligung, Bürgervertretung und dezentrale Entscheidungen sollten die Aushängeschilder des neuen Senats sein. Aber statt dessen kracht es zwischen den Betroffenen und dem Bausenator.
„Fluktuierende Jugendliche“
Das Modell der Bürgerbeteiligung ist immer der Kritik von zwei Seiten ausgesetzt gewesen: Konservative Politiker mißtrauten der „Quatschbude“, wo frei von Sach- und Fachkenntnis über Projekte entschieden werde, die das Geld des Steuerzahlers kosteten. „Fluktuierende Jugendliche“ sah Kreuzbergs Ex-Bürgermeister Krüger (CDU) gar am Werk, die in Mieterräten und ähnlichen Organen ihr Unwesen trieben, bevor sie sich wieder nach Westdeutschland absetzten (und wo ist da der unterschied zu den politikern? sezza). Linke hingegen begriffen Bürgerbeteiligung als Instrument der sozialen Befriedung - wohl nicht ganz zu Unrecht.
Denn die Bürgergremien in Berlin, allen voran die Erneuerungskommission (EK), wurde als Reaktion auf die Hausbesetzungen vom damaligen CDU-Bausenator Ulrich Rastemborski aus Rotterdam importiert und nicht zufällig im unruhigsten Stadtteil, in SO36 am Kottbusser Tor, installiert. Von den Behörden anerkannte und finanzierte Betroffenenvertretungen gibt es bis heute nur in Sanierungs oder Stadterneuerungsgebieten.
Besucht man die EK oder den weiter östlich ansässigen Stadtteilausschuß SO36, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, man habe eine große Familie vor sich. Die besteht aus dem Mieterberater, dem Vertreter der Stadterneuerungsgesellschaft S.T.E.R.N., Mitarbeitern von Stadtplanungsamt, Sanierungsverwaltungsstelle und der Senatsbauverwaltung, der Gemeinwesenarbeiterin, der Kiezreporterin und zwei bis drei Berufsbetroffenen, die auf den zufällig hereingeschneiten, bisher unbeleckten „Einzelfallbetroffenen“ nur solange originell wirken, bis beim dritten Besuch die Wiederholungen nicht mehr zu überhören sind. Das dort gepflegte Vokabular tut ein übriges, neue Betroffene frühzeitig zu vergraulen. „Die Plausi für SenBauWo muß vor der BPU fertig sein, sonst können wir die IP-Anmeldung nicht rechtzeitig machen, weil es über ModInst nicht läuft“, sagt der Fachmann von S.T.E.R.N. Oder der Berufsbetroffene.
Hart an dem Anspruch der Betroffenenbeteiligung knabbern auch Bausenatoren, vor allem wenn sie zwischen 7.000 und 10.000 Wohnungen pro Jahr bauen und gleichzeitig als linker Sozialdemokrat im Gespräch bleiben wollen. Nach dem Motto: „Neubau ja, aber nicht bei uns vor der Haustür, das läuft nicht“, erklärt Nagel seine Sichtweise des Problems Bürgerbeteiligung.
Etwas behutsamer formuliert es die Kreuzberger Baustadträtin Franziska Eichstädt: „Wenn irgendwo gebaut wird, das ist immer eine Belastung für die Anwohner. Aber im Interesse des Gemeinwohls ist das notwendig, daß die Bürgerbeteiligung dann eben zurücksteht“, meint sie. Nicht nur im Neubau, auch in der Stadterneuerung stehen sich Bürgerbeteiligung und zügiges Planen gelegentlich im Wege.
Auch kann ein autonom agierender Bausenator frühzeitig Fakten schaffen. So diskutieren beispielsweise die Tiergartner Vorort-Gremien seit Monaten darüber, ob sie die Ausdehnung von S.T.E.R.N. in ihren Sadtteil hinein gut finden sollen oder nicht. „Die können gerne diskutieren, Hauptsache, sie stimmen zu“, meinte Nagel dazu und stellte schon mal Gelder für S.T.E.R.N. in Millionenhöhe zur Verfügung, während die Bürgergremien für ihre Arbeit noch um Tausendmarkscheine kämpfen. Dabei sei das „obrigkeitsstaatliche“ Nagel-Verfahren weder schneller noch billiger, meint der Schöneberger Betroffenenvertreter Heinrich Piper. „Wenn man wegen des Bürgerwiderstandes alles umplanen muß, wird es noch teurer.“ Was hoffentlich nicht nur Pfeifen im Walde ist.
Freilich hat die Bürgerbeteiligung Vorteile. „Wenn es die gar nicht gibt, mauscheln die Fachleute alles unter sich aus, so hat man wenigstens die Chance, einzugreifen, auch wenn die Verwaltung in Einzelfällen die Bürger über den Tisch zieht“, meint Franziska Eichstädt.
Hört man Berichte aus anderen Bezirken, so weiß man sich in Kreuzberg auf der Insel der Seligen. Den Verwaltungsvertretern sei von der politischen Spitze verboten worden, mit ihnen zu reden, berichtete ein Vertreter der Neuköllner BI Stadtring Süd. In Schöneberg werde man von der Verwaltung zwar formal akzeptiert, hat aber zum Beispiel kürzlich eine Frist von nur wenigen Wochen bekommen, einen Kompromiß für einen umstrittenen halben Block in der Crellestraße zu erarbeiten, erzählt Heinrich Piper.
Wer darf entscheiden?
Die Bürgerbeteiligungsgremien sollen Entscheidungen treffen dürfen, an die sich der Bezirk auch halten muß, forderte Kreuzbergs Ex-Baustadtrat Werner Orlowsky immer wieder. Der Zwiespalt, Entscheidungen demokratisch zu legitimieren, die letztlich einen Kompromiß darstellen, wird aber dadurch verstärkt. Mehr noch: Wenn die Betroffenenvertreter selbst regelmäßig und verantwortlich in den Planungsprozeß eingebunden sind, betreiben sie zwangsläufig eine Stellvertreterpolitik, die zu abgehobenen Planungsentscheidungen führen - also genau zu dem, was Bürgerbeteiligung eigentlich verhindern soll, meint Rainer Bohne vom Stadtteilausschuß Kreuzberg 61. Sein Vorschlag ist, Bürgerbeteiligung als reine Diskussion zu organisieren, wo möglichst viele Bürger kompromißfrei ihre Ansprüche äußern können.
Was Verwaltung und Politiker daraus machten, ist deren Verantwortung und könne dann von den Bürgern nach wie vor kritisiert werden. Ob das praktikabler ist, wird man sehen.
Eva Schweitzer
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