: Be Army statt be Berlin?
Warum soll man Teil der amerikanischen Armee werden wollen? Und was hat der John-Frum-Kult mit Fadi Saad zu tun? Die erste Einzelausstellung des Autors Ingo Niermann in der Galerie ZERN kommt nicht so recht auf den Punkt
Wer die Welt als Party begreift, kann die US-Armee nur als deren nervigen Gatecrasher sehen. Als vor kurzem, am Kunstmessen-Wochenende, die Galerien in der Heidestraße mit neuen Ausstellungen eröffneten, sorgte dort eine versprengte Truppe Angetrunkener für einen Schuss Wodka: Ausgestattet mit nummerierten Holzattrappen von M 16-Gewehren und mit aufgeschminkten „USA“-Schriftzügen versehen, marschierte ein Dutzend frisch eingezogener Rekruten (darunter auffällig viel weibliches Personal) durch die Räume des künstlerisch-industriellen Komplexes in Moabit.
Zuvor waren sie in warmer Stube von zwei angeblichen Rekrutierungsbeamten mit Alkohol gefügig gemacht und zum Ausfüllen des offiziellen Bewerbungsbogens der US-Armee sowie zur Messung des Schädelumfangs überredet worden. In ihrer nur gespielten Absurdität erinnerte die Szenerie dabei eher an Vorlagen der Militär- und Bürokratiegroteske wie „M*A*S*H“ oder „Catch 22“ als tatsächlich an die vielfältigen Anwerbungsmethoden der weltweit angesiedelten US-amerikanischen Rekrutierungsstellen. Mit dem Marsch der Rekruten durch die Kunstinstitutionen gelangte kein pazifistisches, sondern ein pazifisches Ritual zu seiner europäischen Aufführung. Grund und Anlass obiger Performance ist Ingo Niermanns erste Einzelausstellung, „Join the U.S. Army“, in der Galerie ZERN. Seinen Eröffnungsgästen wurde klar, dass es sich bei der Aktion um die lokale Aneignung des „John-Frum-Kultes“ handelt, bei dem Bewohner der melanesischen Insel Tanna, angeregt durch die historische Anwesenheit US-amerikanischer Truppen, einmal jährlich den einstigen mächtigen Gästen geisterhafte Mimikry erweisen.
Die Frage, was den vor allem als Autor bekannten Ingo Niermann als Einzelkünstler umtreibt, lässt sich aus dem Geist der Literatur erklären: Nach Niermanns diversen künstlerischen und kuratorischen Beteiligungen ist „Join the U.S. Army“ nun die räumlich-performative Inszenesetzung eines Textes, den er und sein Koautor Christian Kracht bereits 2006 unter dem Titel „Der Geist von Amerika“ veröffentlichten. In ethnologischer Manier war man 2004 nach Tanna gereist und hatte die kultischen Handlungen zum angepeilten Vergnügen europäischer Leser dokumentiert.
Auf einem wenige Tage nach der Ausstellungseröffnung im Internet veröffentlichten Dokumentationsvideo ist nicht nur der Marsch der Rekrutierten zu sehen, sondern auch ein Ingo Niermann, der mit beidseitig am Körper getragenen Tafeln durch die Straßen von Kreuzberg läuft, Handzettel verteilt und für die Eröffnung der eigenen Ausstellung wirbt. In Letzterer ist von dieser Aktion wiederum ein gerahmter Lambda-Print zu sehen. Neben den dort ebenfalls ausgestellten Gewehrattrappen mitsamt Rifle Board ist dort auch ein Plakat zu sehen, das der „be Berlin“-Kampagne entnommen ist und von Niermann vereinnahmt wurde: in der für die Kampagne typischen Sprechblase klebt Niermanns eigenes Ausstellungsplakat. Be Army statt be Berlin? Niermann spielt in seiner Rekrutierungsaktion mit der Idee, dass jeder der US-Armee beitreten könne. Die Antwort auf die Frage, warum dies anhand des Bildes des Berliner Quartiersmanagers, Autors und Jugendberaters Fadi Saad aus der Berlinkampangne exerziert wird, lässt die Ausstellung allerdings offen.
Ob von hier ein Bogen zu schlagen ist zu Philip Kaufmans Film „The Wanderers“ von 1979, in dem sich die glatzköpfig-tumbe Gang der „Fordham Baldies“ in ein Army Recruitment Center verirrt und prompt in den Vietnamkrieg geschickt wird, ist eher zu bezweifeln. Vielmehr schien Niermann an metaphysischeren Dimensionen gelegen. Der Künstler sagt im Video: „Die Idee dieses Abends, ‚Join the U.S. Army‘, ist es, Teil zu werden dieser enormen, unschlagbaren Macht – der amerikanischen.“
Auch durch die benachbarte Galerie Hamish Morrison marschierten die Rekruten, wo zeitgleich Viktoria Tremmels Ausstellung „30 Kilo“ eröffnete: Dort ist in einem Video zu sehen, wie die Wiener Künstlerin mit einem durch 30 Kilogramm Ziegelsteine beschwerten Militäranzug einen von ihr selbst gebauten Parcours bestreitet. Dieser Schwere gegenüber wirkte Niermanns Marschperformance ziemlich off duty. MARTIN CONRADS
ZERN, Heidestraße 46–52, Gebäude 67, Di–Sa 13–18, bis 15. 11.