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Bayerns AIDS–Politik sei nur „normal“

■ Bundesweite Kritik an dem bayerischen AIDS–Katalog von Innenminister Lang als „hysterisch“ bezeichnet / Reaktion von Bundesgesundheitsministerin Süssmuth sei „völlig abwegig“ / Prostituierte wehren sich

München (ap/taz) -Der bayerische Innenminister August Lang wertet die bundesweite Kritik an den Münchner AIDS–Beschlüssen nach eigenen Worten als „Hysterie gepaart mit völliger Unkenntnis“ sowohl der Rechtslage als auch der beschlossenen Maßnahmen. In einer Erklärung, die vom Innenministerium am Donnerstag in München veröffentlicht wurde, hieß es: „Die bayerischen Maßnahmen sind nichts anderes als eine Rückkehr zur Normalität.“ „Sensationell ist nicht der Maßnahmenkatalog der bayerischen Staatsregierung, sondern die Tatsache, daß bei der Bekämpfung von AIDS ein seit 1961 geltendes Gesetz zum Schutz der Menschen, das im Jahr 1980 unter dem damaligen Bundeskanzler Schmidt noch verschärft wurde, bisher weitgehend überhaupt nicht vollzogen wird“, hieß es. Lang bezeichnete in einer weiteren Erklärung die Reaktion von Bundesgesundheitsministerin Rita Süssmuth als „völlig abwegig und in sich widersprüchlich“. Einerseits lehne sie die bayerischen Vollzugshinweise vehement ab und andererseits bejahe sie den Einsatz von Zwangsmaßnahmen für diejenigen, „die sich rücksichtlos und unbelehrbar über die Gesundheitsinteressen der anderen hinwegsetzen“. Nur das aber sähen die bayerischen Vollzugshinweise zum Bundesseuchengesetz vor, so der Minister. Nach Ansicht der Landtagsfraktion der CSU in München muß geprüft werden, inwieweit zur Durchsetzung richterlich verfügter „Absonderung“ uneinsichtiger HIV–Positiver ausreichend Vorsorge getroffen sei. Die CSU– Fraktion vertrat jedoch die Meinung, daß es einen Anteil von „Unbelehrbaren und Uneinsichtigen“ insbesondere im Bereich der Risikogruppen gibt. Diesen gegenüber sei übertriebene Rücksichtnahme nicht angebracht. Prostituierte wehren sich „Wir wehren uns ganz entschieden gegen den Begriff Risikogruppe, es gibt nur einen Risikokontakt“, erklärte gestern die Sprecherin der Münchner Initiativgruppe „Messalina“, zu der sich vorwiegend Prostituierte zusammengeschlossen haben. Der dritte nationale „Hurenkongreß“, an dem 50 Vertreterinnen von Prostituiertengruppen aus der BRD teilgenommen haben, fand am vergangenen Wochenende in München statt. „Wir könnten auch sagen, daß die Freier die Risikogruppe sind. Woher haben die Frauen denn AIDS“, fragte die Münchner Prostituierte Sina. Die verordnete Kondompflicht bezeichnete sie grundsätzlich als „nicht schlecht“. Doch die Frage der Überprüfung sei äußerst schwierig. Mit dem Hinweis auf entsprechende Tips aus der Szene, wie von Staatssekretär Gauweiler vorgetragen, werde nur das Denunziantentum gefördert. Durch die rigorose Sperrbezirksverordnung in München, die Gauweiler noch in seiner Zeit als Kreisverwaltungsreferent durchgesetzt hat, sei der Konkurrenzkampf unter den Frauen sehr groß, wie Sina ausführte. „Da wird dann behauptet, die Kollegin arbeitet ohne Gummi, weil dann einfach eine weniger rumsteht“. Vor allem in Clubs würden die Frauen gezwungen, ohne Gummi zu arbeiten. Rund 800 Prostituierte sind in München registriert. Während in Berlin bereits Projekte wie die Prostituiertengruppe „Hydra“ die Möglichkeit von Arbeitsbeschaffungsprogrammen haben, ist es für Münchner Prostituierte immer noch schwierig, eine Umschulung finanziert zu bekommen, erklärte Schwester Christa von der Mitternachtsmission, einer evangelischen Einrichtung für Prostituierte. Vom bayerischen Arbeits– und Sozialministerium, das Gelder für Ausstiegswillige in Aussicht gestellt hat, kamen noch keine Angebote. „Im Grunde hat Gauweiler erreicht, was er wollte. Jetzt kann er alles zumachen“, so Sina.

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