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Bayern mit lauter Liberos

Bayer Uerdingen-Bayern München 0:3/ Mancherlei Verwirrungen beim Aufsteigerduell  ■ Aus Krefeld Bernd Müllender

Nichts ist mehr wie es einmal war. Die neue Rückpaßregel entzweit die Fußballwelt auf's belustigendste. So in der Grotenburg in der 44. Minute: Der Neu-Krefelder Kranz köpft, für alle sichtbar, aus luftiger Höhe zielsicher und absichtlich auf Torwart Dreher zurück. Der nimmt am Torraum auf. Der Schiri pfeift. 26.000 echoen erregt und entsetzt zurück. Debatten auf dem Spielfeld. Doch der Unparteiische gibt nicht etwa Freistoß für Bayern, sondern — Schiedsrichterball. Den fischt sich Dreher weg. Wieder abgepfiffen. Debatten immer erregter. Neuer Hochball. Den legt der Schiedsrichter einem Uerdinger vor die Füße. Bayern-Coach Erich Ribbeck, der sonst so Besonnene, rast vor Empörung herum wie Rumpelstilzchen.

Mit seinem Uerdinger Kollegen Friedhelm Funkel, sagt Ribbeck, habe er dann lange diskutiert, was das wohl sollte, wie die Regel zu interpretieren sei. Man sei gemeinsam verwirrt gewesen, habe sich das alles nicht erklären können. Der Schiedsrichter sorgte später für Aufklärung: Er habe nicht genau erkennen können, ob Kranz den Ball per Kopf (erlaubt) oder per Fuß (verboten) zurückgespielt habe. Und da sei ein Hochball doch eine salomonische Entscheidung gewesen. Da wußte vor Verblüffung keiner mehr etwas zu sagen. Kopf und Fuß zu verwechseln ist in der Branche schließlich schlimmer, als dürfe der Schiedsrichter einen Elfmeter für schwarz geben und selbst mit der Hand ausführen. Wundersame Bundesliga.

Auch sportlich brechen neue, alte Zeiten an. Verwirrende Zeiten, auf den ersten Blick. Uerdingens Trainer Funkel sprach hernach von Optimismus und einer gewissen Zufriedenheit, zumindest 80 Minuten seien so gewesen, wie er sich das vorgestellt hatte. Ribbeck meinte mit ernster Miene, nein, Lorbeeren hätten sich seine Stars wahrlich nicht erkickt, „viel zu vorsichtig, um nicht zu sagen ängstlich“ seien sie zu Werke gegangen, insbesondere anfangs. Und ganz besonders seine teuersten Angestellten, die Herren Jorginho (5,5 Millionen) und Helmer (8 Millionen), hätten nicht das gezeigt, was man von ihnen erwarte und kenne.

Das Ergebnis des Spiels war 3:0 — nur eben für die Bayern und nicht für die frisch aufgestiegenen, frechen Pharmazeuten vom Niederrhein. Widersinn, Unlogik, verkehrte Welt? Nein, eben Fußball. Und eben Bayern München. Nach einer Saison, die den Münchnern mit Niederlage auf Niederlage, Blamage auf Blamage endlich die Sympathien der Fußballnation sicherte, scheinen sie wieder auf Normalkurs: mit provozierendem Phlegmafußball, der ihnen auch ohne Torwartrückpässe gelingt, mit jener teamspezifischen Arroganz, dem entsprechenden Versagen des Gegners in entscheidenden Szenen und dem Glück, das eine Saison lang fremdgegangen war.

Saftige Niederlagen vorab, eine lange Verletztenliste und die vermeintliche Schicksalsfrage, ob man den Beruf denn nun mit klassischer Abwehrformation oder liberofreier Viererkette ausüben solle. Sie spielten altbacken mit Libero, und der hieß Olaf Thon. Und seine Rolle war Prunkstück bajuwarischer Täuschungskunst. Wenn das ruhrpottige Schnauzbärtlein am Ball war, brillierte es mit Technik und Übersicht. Was aber bekanntlich nicht der schwersten Aufgabe eine ist, denn Liberos haben halt keine Gegenspieler, die ihnen mit Tacklings und Blutgrätschen das Tagwerk erschweren. In der Organisation der Abwehr war Thon alles andere als ein Souverän, und manchmal sah man ihn herumirren vor lauter verunsichernder Freiheit. Und Thon konnte sich unter Gleichgesinnten wähnen: Ein halbes Dutzend Liberos hatte er um sich, so frei ließen diese ihre wahrlich nicht hochbegabten Krefelder Gegner bisweilen gewähren. Ein Paß in die Tiefe, und schon wieder stand ein heimischer Angreifer vor Aumann. Nur der tat eben, was eines Kastenwartes Aufgabe ist: er hielt.

Der bayerische Wiederaufstieg begann in der 21. Minute. Thon verließ zur Stabilisierung derselben erstmals die Abwehr, und sein Glücksschuß flatterte ins Tor. Besser wurde das Bayern-Spiel kaum. Thomas Helmer, offenbar beleidigt, daß er die minderwertige Position eines Linksverteidigers auszufüllen hatte, spielte so langsam, wie er in den Monaten zuvor um seinen Wechsel gepokert hatte. Ein Viermeterpaß war für ein Viermillionenbein manchmal schon zuviel. Jorginho ließ sich vom Ex-Lauterer Kampfbündel Markus Kranz den Schneid abkaufen. Mehmet Scholl tat viel, aber wenig Effektives, und Markus Schupp hatte hernach an seinem Designer-Schopf kaum eine Schweißperle.

Jeder hatte indes durchschnittlich zwei elegante Szenen, die die Galerie entzücken konnten. Und das reichte: Zehn Minuten vor Schluß war Uerdingens Libero Heiko Peschke von Grahammers Sprint so verblüfft, daß er ihn am Trikot festhielt und Rot sah. Danach hatten die Bayern leichtes Spiel. Zwei Konter, zwei Tore, ausgerechnet durch Schupp (nach Jorginhos einzigem Flankenlauf) und durch Schlaftablette Helmer. 0:3 — und Bayern München war Tabellenführer. Keck tat Ribbeck kund, von ihm aus könne die Saison nunmehr beendet sein. Kein Wunder, mag er gedacht haben, seine Starschar ist immerhin zwei Punkte vom Abstieg entfernt. Aber das, so scheint's, wären Gedanken von gestern, ohne Kopf und Fuß.

Bayern München: Aumann - Thon - Kreuzer, Münch - Jorginho, Schupp, Wouters, Scholl, Helmer - Labbadia, Wohlfarth (76. Grahammer)

Zuschauer: 22.000; Tore: 0:1 Thon (21.), 0:2 Schupp (83.), 0:3 Helmer (85.)

Rote Karte: Peschke (77.) wegen groben Foulspiels

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