piwik no script img

Bauwägler ohne Wagen

■ Kein Grundstück für die Bauwagenkolonie – Olaf Kawallek lebt jetzt auf der Straße

Morgens, meist zwischen acht und zehn, wird Olaf Kawallek von dem Gebell seiner Hunde geweckt. Mit ihrem Gekläffe versuchen die beiden Rüden den Schlafsack ihres Herrchens zu verteidigen. Kopfschüttelnd, vermutlich auf dem Weg zur Arbeit, eilen die Passanten an dem Lager des Mannes und seiner beiden Hunde vorbei. Seitdem die Behörden sein „Zuhause“, den Bauwagen, beschlagnahmt haben, lebt Kawallek auf der Straße.

Eine Wohnung will er nicht. „Wände engen mich ein“, sagt er. Das hat er auch den Sachbearbeitern im Sozialamt gesagt. Unzählige Male. Geglaubt hat man ihm nicht. Obwohl er seit über drei Jahren in keiner Wohnung mehr gelebt hat. Eineinhalb Jahre lang war ein Bauwagen auf dem Weidedamm Kawalleks Zuhause. Etwa 200 Männer und Frauen lebten zuletzt auf dem ehemaligen Parzellengebiet in Findorff und versuchten ihre Vorstellungen von einem „Öko-Wohnprojekt“zu verwirklichen – darunter auch Klaus Möhle, der inzwischen für die Grünen als Abgeordneter in der Bürgerschaft sitzt.

Als der Weidedamm im Herbst 1995 geräumt wurde, schlossen etwa 50 Weidedämmler einen Vertrag mit der Stadt und leben seither auf dem Friedhofsgelände an der Lesum in Bremen-Nord. Für die übrigen Bauwägler war kein Platz – dazu gehörten auch Kawallek und seine Freunde. Die 13 Bauwägler gründeten „Kwell“, den Verein für konstruktiven Wahnsinn: einfach leben und leben lassen, und zogen durch die Stadt (die taz berichtete).

Auf einer Verkehrsinsel an der Stromer Landstraße ließen sie sich nieder und schrieben an den Häfensenator. 1.000 Mark Pacht wollten sie ihm dafür zahlen, daß sie mit ihren Wagen auf der Verkehrsinsel campieren durften. Der Senator lehnte ab. Die Mitglieder von Kwell hingen ihre Bauwagen an Trecker und verlegten ihre Wagenburg an die Universität. Kaum hatten die Bauwägler sich dort niedergelassen, klopfte die Polizei mit einer Verfügung des Stadtamtes an die Tür.

Die Bauwägler zogen zum Weserstadion. Die Verfügung des Stadtamtes ließ nicht lange auf sich warten: Diesmal wurden die Kwell-Mitglieder der Stadt verwiesen. Die Bauwägler ließen sich trotzdem an der Beneckendorffallee nieder. „Einmal kam Innensenator Borttscheller mit seiner Familie vorbei“, erinnert sich Kawallek. „Der hat nur den Kopf geschüttelt und gesagt, dieses Gesockse muß hier weg.“

Mit einer Polizeieskorte seien sie wenig später aus der Stadt begleitet worden – nach Delmenhorst zu einem angeblich öffentlichen Grundstück. Dort wurden sie von dem Eigentümer, seinem Rechtsanwalt und einem Ratsherrn empfangen. „Da sind wir gleich wieder abgezogen und nach Brinkum“, erinnert sich Kawallek. Dort campierten die Kwell-Mitglieder auf einem Grünstreifen vor dem Landfahrerplatz. Laut Gesetz sind Bauwägler keine Landfahrer, deshalb durften die Kwell-Mitglieder nicht auf den Platz rollen.

Eineinhalb Wochen ließ der nächste Platzverweis auf sich warten. Die Bauwägler rollten nach Dreye und ließen sich am Bahnhof nieder. Doch auch hier konnten sie nicht bleiben. Die Gemeinde ließ den Kwell-Mitgliedern aber immerhin einen Monat Zeit, sich eine neue Bleibe zu suchen. „Wir haben nichts gefunden.“Also hingen die Bauwägler ihre Behausungen wieder hinter die Trecker und fuhren nach Dörverden.

„Zu diesem Zeitpunkt war die Stimmung schon auf dem Null-Punkt“, erinnert sich Olaf Kawallek. Nachdem die Jagd der Behörden die Bauwägler zunächst zusammengeschweißt habe, zerrte das ewige Hin-und Her allmählich an den Nerven. „Wir haben uns immer mehr gestritten. Zuletzt haben wir uns in alle Himmelrichtungen zerstreut. Manchmal glaube ich, das war von Anfang an die Absicht der Behörden. Falls es so war, ist ihnen das gelungen.“

Olaf Kawallek zog seinen Wagen auf ein freies Grundstück in Dörverden. Mit dem Trecker fuhr er im Oktober – zwei Wochen vor den sogenannten Chaos-Tagen – nach Bremen. Er übernachtete auf dem Weserparkplatz. „Ruck, zuck war die Polizei da und hat meinen Trecker beschlagnahmt“, erzählt Kawallek. „Ich hatte keine Möglichkeit mehr, meinen Bauwagen aus Dörverden abzuholen. Irgendwann ist der auch konfisziert worden.“

Seitdem lebt Kawallek auf Bremens Straßen und bettelt. Mit 469 Mark Sozialhilfe im Monat „komme ich nicht klar“. Wenn er aufgestanden ist, „schnorrt“er sich Hundefutter und Frühstück zusammen. „Meistens bekommt man auch was.“Danach bettelt er sich „Geld für Bier“zusammen und „schüttet sich den ganzen Tag zu“. Einsam fühlt er sich nicht. „Ich kenne jede Menge Leute. Viele ehemalige Bauwägler leben heute auf der Straße. Wir stehen am Ziegenmarkt, auf der Sielwallkreuzung oder am Marktplatz vor dem Rathaus.“

Ab und an sieht er dort Klaus Möhle. Die Haare zum Pferdeschwanz gebunden und mit einem Sakko bekleidet eile der Abgeordnete meist wortlos an ihm vorbei in die Bürgerschaft. „Der hat uns im Stich gelassen, dieser Heuchler“, schimpft Kawallek über seinen ehemaligen Mit-Besetzer.

Wie er sich seine Zukunft vorstellt? „Ich muß irgendwie das Geld zusammenkriegen, um meinen Trecker und den Bauwagen auszulösen“, sagt er und krault seinem Hund Derrick das Fell. „Damit wir wieder ein Zuhause haben.“ kes

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen