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Baustopp wegen Eisvogel-Liebe

■ Von 170 Brutvogelarten in Berlin stehen 95 auf der roten Liste

Berlin. Ein 16,5 Zentimeter großer Eisvogel hat am Teltowkanal die Baumaschinen lahmgelegt. Genauer gesagt handelt es sich um ein Eisvogelpaar, das am Kanalufer ausgerechnet eine Stelle zum Brüten ausgesucht hat, die im Auftrag der Bundeswasserstraßenbehörde ausgebaut wird. Das zuständige Bezirksamt ordnete daraufhin die sofortige Einstellung der Baumaßnahmen an, weil Eisvögel in Berlin als stark gefährdete Vogelart gelten und auf der roten Liste stehen.

Von den farbenprächtigen Vögeln, die oben blaugrau und unten rostrot gefiedert sind, einen schwarzen Schnabel und rote Füße haben, leben in der Stadt nach Schätzung von Ornithologen noch ganze acht Paare. Das Bezirksamt — es wird hier auf eigenen Wunsch nicht näher benannt, um die Brutstelle vor Schaulustigen zu schützen — will die Baumaßnahmen am Teltowkanal für mindestens drei Monate unterbinden. Der Grund: Die Eisvögel brüten in einem Gang unter der Erde und reagieren sehr empfindlich auf Lärm und Bodenerschütterungen.

Die winzigen Vögel gehören zu den 170 Brutvogelarten, die in Berlin vorkommen. 95 dieser Vogelarten stehen auf der roten Liste. Das geht aus dem jüngst erschienenen ornithologischen Jahresbericht hervor, der erstmals für die gesamte Stadt von Ost- und Westberliner Fachleuten zusammengestellt wurde. Die rote Liste unterscheidet zwischen Vögeln der Kategorie Null, die früher in Berlin lebten und nun als ausgestorben beziehungsweise verschollen gelten. Unter der Kategorie Null sind 29 Vogelarten wie zum Bespiel die Schwarzstörche, Fischadler, Flußseeschwalben und Kraniche zusammengefaßt, die bis 1900 noch die Wälder und Seen bevölkerten. Die Großtrappen tauchten zum letzten Mal 1925 auf und die Turteltaube 1945. Die Blauracken flüchteten 1955 aus Berlin, 1968 folgten ihnen die Zwergdommeln und 1975 die Steinkäuze.

In der Kategorie eins sind die 29 Vogelarten aufgelistet, die in Berlin vom Aussterben bedroht sind, wie zum Bespiel die Wanderfalken, Rotmiliane, Kibitze und die Blaukehlchen. Sie kommen heute nur noch an versteckten Plätzen vor. Von den Wanderfalken, die vornehmlich auf hohen Bäumen brüten und mit Geschwindigkeiten von mehr als 200 km/h als große Flugkünstler gelten, leben in Berlin nur noch ganze zwei Paare.

Unter der Kategorie zwei der roten Liste — »stark gefährdet« — sind elf Vogelarten zusammengefaßt, dazu zählen die Eisvögel, Baumfalken und die mit den Spechten verwandten Wendehälse. Der Bestand der Baumfalken wird auf sieben bis elf Paare geschätzt, von den Wendehälse gibt es vier bis 13 Paare. Die Kategorie drei befaßt sich mit den »gefährdeten« Vögeln wie die Feldlerchen (150 bis 300 Paare), und die Katgeorie P mit »potentiell gefährdeten« Vögeln wie Saatkrähen (300 bis 400 Paare).

73 Brutvogelarten kommen zum Glück noch zahlreich in der Stadt vor. Mit Abstand an der Spitze steht der Haussperling. Von den frechen Viechern tummeln sich in der Stadt 100- bis 200.000 Paare. Auch die Amseln (80.000), Kohl- und Blaumeisen (30- bis 40.000) sowie Rotkehlchen (5- bis 7.000) erfreuen sich bester Gesundheit. Das gleiche gilt für die Mauersegler (6- bis 12.000 Paare), die gegen Abend pfeilschnell mit schrillem »Shri« über die Dächer der Stadt jagen.

Von den hochbeinigen Nachtigallen mit ihrem unverwechselbar anschwellenden »Dü« leben in Laubwäldern und verwilderten Gärten immerhin noch 1.200 bis 1.500 Männchen und Weibchen. Und selbst der Kuckuck lebt noch. Aber um im Wald »kuckuck« hören zu können, muß man schon großes Glück haben, denn es gibt nur noch 130 bis 200 Paare. Plutonia Plarre

Der Berliner ornithologische Jahresbericht ist bei L. Schlottke, Nienkemperstraße 46c, 1-37, erhältlich.

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