Bauern bilden Banden: Die Milchrebellion
Besser als Dieselsubventionen: Wenn Bauern sich in Erzeugergemeinschaften organisieren, können sie bessere Preise für ihre Produkte aushandeln.
Jeden zweiten Tag, immer gegen 8.30 Uhr, rollt in Ostfriesland ein Tankwagen auf Ottmar Ilchmanns Bauernhof. Der Fahrer pumpt die Rohmilch ab, die Ilchmanns 60 Kühe gegeben haben, und fährt sie in eine Molkerei. Im Kreis Leer prangt auf den meisten Milchsammelwagen entweder das blau-grün-weiße Logo des Deutschen Milchkontors, kurz: DMK, oder der rot-blaue Schriftzug der Molkerei Ammerland.
Die Milchbauern der Region sind tendenziell konservativ, so gut wie alle Milchbauern im Landkreis liefern an diese beiden Unternehmen. Doch auf dem Edelstahltank des Wagens, der zu Ilchmann fährt, steht ein großes „F+S“, die Initialen von Fude + Serrahn, einem Milchhändler aus Hamburg. Es ist ein Ausdruck von Rebellentum.
Mit den omnipräsenten Großmolkereien hat auch Ilchmann seine Erfahrungen gemacht. Heute ist er Mitglied in einer „Erzeugergemeinschaft“ von etwa 70 Milchbauern. Diese Rebellen vermarkten ihre Milch gemeinsam. Das gibt ihnen wesentlich mehr Verhandlungsmacht, als wenn jeder kleine Bauer allein sein Glück versuchte. Das Ergebnis: höhere Preise. „Wir haben zum Beispiel letztes Jahr bis zu 5 Cent oder rund 15 Prozent mehr pro Liter als beim DMK bekommen“, freut sich Bauer Ilchmann.
Höhere Preise dank Erzeugergemeinschaften – das bringe viel mehr als die Subventionen des klimaschädlichen Diesels für Traktoren und andere Landmaschinen, argumentiert der Bauer. Die Bundesregierung hat angekündigt, die Agrardieselsubvention zu streichen, und damit eine Welle von Bauernprotesten ausgelöst. Dabei fällt die Zahlung vom Staat bei den meisten Betrieben kaum ins Gewicht: Laut Agrarministerium beträgt sie im Durchschnitt nur knapp 2.800 Euro im Jahr.
Großmolkereien knebeln die Landwirte
„Wenn die Molkerei mir nur einen halben Cent oder 1,25 Prozent mehr für den Liter Milch zahlen würde, hätte ich den Verlust durch den Wegfall der Agrardieselsubvention wettgemacht“, rechnet Ilchmann vor. Statt wegen eines so kleinen Betrags auf die Straße zu gehen, empfiehlt er daher: Mehr Landwirte sollten sich, wie er selbst, in Erzeugergemeinschaften organisieren. Damit diese dann auch bei den Großmolkereien wie DMK höhere Preise aushandeln können, braucht es aber noch eine kleine Revolution.
Denn Milchbauern, die rund ein Fünftel aller Landwirte stellen, können oft gar nicht über ihre Preise verhandeln. Die meisten Höfe sind Mitglied einer Molkereigenossenschaft wie DMK oder Ammerland. 70 Prozent der Rohmilch in Deutschland landen dem Milchindustrieverband zufolge bei Genossenschaften. Deren Mitglieder sind verpflichtet, fast ihre komplette Milchmenge an die Firmen zu liefern – egal zu welchem Preis. Oft erfahren sie erst Wochen nach der Lieferung, wie viel sie dafür bekommen. Wer das nicht akzeptiert, darf gar nicht erst Genosse werden.
Genossenschaften? Sind das nicht die Guten? In der Milchwirtschaft ist das nicht so klar. Die Großmolkereien gehören den Landwirten zwar. „Trotzdem hat der einzelne Bauer in diesen Konzernen nicht viel zu sagen“, kritisiert Ilchmann. Das tägliche Geschäft hätten „diese vermeintlichen Genossenschaften“ ausgelagert in Tochtergesellschaften, in denen vor allem das Management bestimmt.
Das DMK ist mit rund 4.700 Genossen sowie 6.600 Mitarbeitern die größte Molkereigenossenschaft Deutschlands. Marken wie Milram, Humana oder Alete – gehört alles DMK. Der Konzern nimmt 5,7 Milliarden Euro im Jahr ein und hat Standorte in Deutschland, den Niederlanden, Italien und sogar Russland. Da hat ein Milchbauer aus Ostfriesland mit einem Jahresumsatz von einigen Hunderttausend Euro nicht viel zu melden.
Diese Machtlosigkeit hat Ilchmann am eigenen Leib erfahren. Er war früher Genosse bei einem Vorläufer des DMK. Als die Molkerei ihm wieder einmal weniger als die Erzeugungskosten für die Milch überwiesen habe, habe er per Brief eine Nachzahlung gefordert, erzählt der Landwirt. Sein Erzeugerberater bei der Molkerei habe ihm geantwortet: „Ich habe bei der Vorstandssitzung Ihr Schreiben vorgelesen, und wir haben alle herzlich gelacht.“ Ilchmann fand das gar nicht witzig. Seine Genossenschaftsmolkerei habe doch die Pflicht, dafür zu sorgen, dass er zumindest einen kostendeckenden Preis bekomme.
„Da sagte der Berater den Satz: ‚Wir haben einzig und allein die Verpflichtung, die Milch bei Ihnen abzuholen.‘ In dem Moment habe ich gedacht: Hier musst du weg.“ Ilchmann trat aus der Molkerei aus und landete schließlich bei der Erzeugergemeinschaft, über deren Preise er sich heute freut. Das war kein leichter Weg, denn eine Molkereigenossenschaft loszuwerden ist bis dato sehr schwer. Die Konzerne binden ihre Mitglieder mit Kündigungsfristen von meist mehreren Jahren.
Ein Gesetz könnte Abhilfe schaffen
Das muss sich ändern, findet Ilchmann. Damit Bauern ihre Abnehmer leichter wechseln können, brauche es ein Gesetz, das die Knebelbedingungen der Molkereien aushebelt. Der Bund müsse den Genossenschaften Vorgaben machen: So müssten sie mit ihren Mitgliedern bereits vor der Lieferung vertraglich festhalten, wie viel Geld sie für wie viel Milch zahlen. Ein Landwirt, der mit den Konditionen nicht einverstanden ist, könnte dann an eine andere Molkerei verkaufen. Auf dem Milchmarkt käme das einer Revolution gleich – einer, die Großmolkereien wie DMK, die schon lange für eher niedrige Preise bekannt ist, in ernste Schwierigkeiten bringen könnte.
Tatsächlich hat Bundesagrarminister Cem Özdemir versprochen, die Vorschriften zu den Lieferbedingungen in der Milchbranche zu ändern. Wie genau, das hat der Grünen-Politiker noch nicht verraten. Der Bund könnte den Molkereien entweder vorschreiben, einen Vertrag mit den Bauern abzuschließen. Er könnte auch lediglich verlangen, dass die Molkereien einen Vertrag anbieten. Letzteres würde kaum etwas verändern.
Zu diesen Fragen wird gerade heftig lobbyiert im Agrarministerium. Für eine strenge Vertragspflicht ohne Ausnahmen kämpft zum Beispiel die kleine, ökologisch orientierte Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Bauer Ilchmann als niedersächsischer Landesvorsitzender ganz vorne dabei. Auch der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter, mit rund 12.000 Mitgliedern die zweitgrößte Organisation der Branche, spricht sich dafür aus.
Verteidiger des Status quo sind die, die von ihm profitieren: die führenden Molkereigenossenschaften, vertreten durch den Raiffeisenverband und die größte und einflussreichste Agrarlobby, den Deutschen Bauernverband. Funktionäre dieser Organisation haben teils sehr gut bezahlte Posten in Molkereikonzernen inne.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Deutschlands größte Molkereigenossenschaft DMK wettert besonders vehement gegen eine Vertragspflicht. Chefsprecher Oliver Bartelt zeigt sich überzeugt, „dass diese Forderung keinen zusätzlichen Cent auf die Höfe bringt“. Auch wenn die deutschen Bauern solche Verträge hätten, würde Milch auf dem Weltmarkt dadurch nicht teurer. Und „Milch wird global gehandelt“, argumentiert Bartelt. „Zwar ist die EU ein großer Produzent, aber auch Neuseeland, die USA und Australien sind große Exporteure.“ Die Landwirte des DMK hätten seiner Meinung nach schon genug „unternehmerische Freiheit“. Sie könnten ja selbst entscheiden, wie viel Milch sie produzieren wollten – je nach Preisprognose.
Darüber kann Bauer Ilchmann nur lachen. „Bauern sind in Wirklichkeit eher Scheinselbstständige“, sagt der Landwirt. Sie seien vollkommen abhängig von ihrer Molkerei, die ihnen die Preise für die Milch diktiere. Seine Erzeugergemeinschaft habe es ja bewiesen: Bauern können mehr für sich herausholen, wenn sie ihre Preise gemeinsam und vor der Lieferung aushandeln.
Ilchmann glaubt nicht daran, dass der Handel mehr Milch importieren würde, wenn die deutschen Bauern mehr Geld bekämen. „In Frankreich und den Niederlanden ist der Milchpreis höher als bei uns“, sagt der Landwirt. Damit die Einfuhren aus Polen nicht steigen, brauche es idealerweise EU-weite Erzeugergemeinschaften. Die USA, Neuseeland und Australien können schon deshalb nur wenig in die EU exportieren, weil sie ihren Markt durch Zölle stark abgeschottet hat.
Und die höheren Preise – fallen die nicht am Ende auf die Verbraucher zurück? „Die Landwirtschaft ist nicht das Sozialamt“, findet Ilchmann. Der Staat müsse das Bürgergeld erhöhen und Geringverdiener entlasten, falls die Lebensmittelpreise tatsächlich stark steigen würden.
Bauern sind Einzelkämpfer
Ob Özdemirs Koalitionspartner FDP da mitspielen wird, ist fraglich. Zudem könnten CDU und CSU die Vertragspflicht im Bundesrat stoppen. Die meisten Landwirte haben diese Parteien gewählt – und natürlich auch deren Funktionäre im Bauernverband. Noch scheinen die meisten Milchbauern nicht so richtig überzeugt zu sein von Erzeugergemeinschaften. Auch Getreidebauern organisieren sich bis jetzt eher nicht in dieser Form, obwohl sie – anders als ihre Milchkollegen – schon immer ihre Preise vor der Lieferung frei aushandeln können.
Ilchmann erklärt sich das auch mit der Angst der Bauern, auf ihrer Ware sitzen zu bleiben, wenn nicht alles so weiterläuft wie bisher. Sie sind eben konservativ. Und Einzelkämpfer. „Viele Bauern sehen den anderen nur als Konkurrenten, den es auszustechen gilt. Solidarität kennen sie nicht. Uns Bauern fehlt die Erkenntnis: Ich bin nur mit anderen gemeinsam stark“, sagt der Milchrebell. Aufgeben tut er deshalb noch lange nicht. Ilchmann hofft, dass jetzt, mit der Diskussion über die Vertragspflicht, immer mehr Bauern auf den Geschmack kommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz