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american pieBarry Bonds‘ Wandel zum Publikumsliebling

Hatz auf Homeruns

Drove my Chevy to the levy

Es ist noch gar nicht so lange her, da galt Barry Bonds als arrogant, schwierig und eingebildet. Man war sich weit gehend einig, dass er wohl der beste Baseball-Spieler seiner Zeit sei, aber heiß geliebt wurden andere, volkstümlichere Profis. Kein noch aktiver Spieler hatte seinen Platz in der Hall of Fame so sicher wie der Outfielder der San Francisco Giants, aber Journalisten erwähnten immer wieder gern, dass er gleich vier Spinde für sich beansprucht und dazu noch sein riesiger Sessel die halbe Umkleidekabine blockiert, während seine Teamkollegen auf Klapphockern sitzen.

Dieses Jahr ist alles anders. Gerade mal die Hälfte aller Saisonspiele ist gespielt und Bonds hat bereits 39-mal den Ball in die Ränge gedroschen. Obwohl er nun schon eine ganze Woche auf einen Homerun wartet, ist er auf dem besten Wege, den nur drei Jahre alten Rekord von Mark McGwire (70 Homeruns) zu pulverisieren. Allerdings ist der Sessel in der Umkleide zum Massagestuhl geworden. „Ich habe Bandscheibenprobleme“, sagt er, „vor vier Jahren hab ich noch keinen Spezialstuhl gebraucht.“

Umso erstaunlicher, dass Bonds in fortgeschrittenem Alter (36) einen Angriff auf den Rekord startet, der im statistiksüchtigen Amerika so viel Prestige wie kein anderer verspricht. „Ich weiß auch nicht, wie er es macht“, sagt Dusty Baker, der Manager der Giants, „er ist älter geworden, langsamer – und zäher.“ Tatsächlich hat Bonds vor dieser Saison bewusst Muskelmasse zugelegt und wiegt nun acht Kilo mehr. Dadurch ist er zwar nicht mehr so schnell wie früher, als er einer der besten Basestealer war, aber dafür fliegen die Bälle weiter als je zuvor.

Obwohl Bonds ganz der Alte ist, regelmäßig Interviewtermine platzen lässt, Autogramm-Sammler ignoriert und behaupt, er sei am Rekord „nicht interessiert“, hat ihn die Öffentlichkeit ins Herz geschlossen. Elf Firmen, so sein Manager, hätten bereits angefragt, ob man den von Werbeangeboten bislang eher verschonten Bonds und seine Rekordjagd nicht sponsern dürfe. Insgesamt ist Bonds bei weitem nicht mehr so abweisend. Während er früher dafür bekannt war, seinen Mitspielern auch auf Anfrage Tipps zu verweigern, betont er heute, wie wichtig ihm der Erfolg des Teams ist. Denn ein Titelgewinn fehlt ihm noch: „Ich habe nichts gegen gute Statistiken, aber ich bin es leid, nach jeder Saison frustriert nach Hause zu gehen. Ich will eine World Series gewinnen.“

Danach sieht es nicht aus. Während Bonds, der dreimal zum wertvollsten Spieler der National League gewählt wurde, auf dem Weg in die Baseball-Geschichte ist, liegen die Giants in ihrer Division sechs Siege hinter Arizona zurück. Die letzte Saison hatten sie noch als bestes Team der regulären Saison abgeschlossen, aber waren in den Playoffs an den New York Mets gescheitert. Auch weil Bonds weit unter seinen Möglichkeiten blieb.

Der krasse Leistungsabfall war nicht sein erster in den Playoffs. Deshalb werden seine Chancen, tatsächlich McGwires 70 Homeruns zu übertreffen, bislang auch noch sehr skeptisch beurteilt. Viele Experten glauben, dass Bonds, der noch nie mehr als 49 Homeruns in einem Jahr geschafft hat, zum Ende der Saison die Kräfte verlassen und er psychologisch nicht in der Lage ist, dem Druck standzuhalten, wenn ihn sämtliche Medien des Landes auf Schritt und Tritt verfolgen. „Rekorde sind dazu da, gebrochen zu werden“, sagt McGwire, der in diesem Jahr zu lange verletzt war, um selbst ins Homerun-Rennen eingreifen zu können, „aber niemand außer mir hat eine Ahnung, was Barry erwartet, wenn er tatsächlich in die Nähe kommen sollte.“

THOMAS WINKLER

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