Barrierefreiheit von Streams: Untertitel für Pornos
Ein gehörloser US-Amerikaner verklagt eine Pornoseite wegen fehlender Untertitel. Dabei sind US-Anbieter barrierefreier als deutsche Angebote.
Suris beruft sich in seiner 23 Seiten langen Klageschrift auf mehrere Pornos, die er im vergangenen Oktober und Januar schauen wollte. Wegen fehlender Untertitel beim Film „Heiße Stieftante babysittet ungehorsamen Stiefneffen“ und anderen Videos konnte er dem Inhalt aber nicht so folgen wie Nutzer*innen, die hören können. Von den Pornhub-Anbietern fordert Suris deshalb Strafzahlungen und Schadensersatz.
Was erst einmal lustig klingt, könnte für Anbieter Mindgeek schnell zum Problem werden. Denn Suris beruft sich bei seiner Klage auf den Americans with Disabilities Act (ADA), der US-Amerikaner mit Behinderung seit 1990 bundes- und staatsübergreifend vor Diskrimierung durch private Unternehmen und staatliche Institutionen schützen soll. Zwar bietet Pornhub Untertitel in einer eigenen Kategorie an, dazu gibt es bei einigen Videos Audiodeskriptionen für blinde Menschen und Charity-Aktionen wie den „Boob Bus“ zur kostenlosen Vorsorgeuntersuchung von Brustkrebs. Doch das reicht nicht.
Die Zahl von Kläger*innen in den USA, die sich auf den ADA beziehen, hat in den letzten Jahren immer weiter zugenommen; laut der Website JD Supra waren es von Anfang Januar bis Ende Juni 2019 5.592 Klagen, ein Anstieg um zwölf Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 2018 waren es schon mehr als 10.000 Klagen. Die meisten bezogen sich auf fehlende Barrierefreiheit von Websites. Neben Pornhub etwa auch Beyoncés Webauftritt.
Untertitel in Deutschland durch US-Gesetz
Aus Angst vor dem strengen ADA-Gesetz und den vielen Klagen statten deshalb viele US-amerikanische Streaming-Anbieter ihre angebotenen Filme und Serien mit Untertiteln und immer öfter auch mit Audiodeskriptionen für blinde Menschen aus. „Netflix gehört zu den beliebtesten Streamingdiensten der Gehörlosen“, sagt eine Sprecherin vom Gehörlosenverband Berlin. Das US-amerikanische Unternehmen untertitele sein gesamtes Angebot – wenn nicht auf Deutsch, dann auf jeden Fall auf Englisch. „Deutsche Nutzer profitieren vom ADA-Gesetz aus den USA“, bestätigt Anja Gutjahr vom Deutschen Gehörlosen-Bund.
Im deutschen Fernsehen und in den Mediatheken ist die Untertitelung bislang wesentlich schlechter. Die öffentlich-rechtlichen Medien sind durch den Medienstaatsvertrag zwar dazu verpflichtet, Barrierefreiheit in ihren Angeboten herzustellen, also etwa durch Untertitel für gehörlose Menschen oder Audiodeskriptionen für Blinde. Zu Beginn der 2010er Jahre war die Zahl der untertitelten Sendungen im Ersten mit einem Drittel aber noch lächerlich gering.
Seit 2013 müssen auch gehörlose und blinde Menschen den Rundfunkbeitrag zahlen, allerdings nur ein Drittel davon, also rund 6 Euro pro Monat. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Anzahl der untertitelten Sendungen im Ersten dann kontinuierlich erhöht. 2018 waren es 98 Prozent des Angebots. Allerdings nur im Rundfunk und mit Untertiteln via Teletext.
In der ARD-Mediathek ist die Abdeckung immer noch deutlich schlechter, laut offiziellen Angaben sind höchstens 57 Prozent der online ausgespielten Sendungen untertitelt. Ähnlich schlecht sieht es bei den dritten Programmen wie Arte oder 3sat aus. Und private Rundfunkanbieter wie die RTL-Group sind überhaupt nicht dazu verpflichtet, Untertitel oder Audiodeskriptionen anzubieten. Beim Sender Vox waren 2019 gerade einmal 23 Prozent der Sendungen untertitelt, bei ProSieben sind es 37 Prozent.
Mit den neuen US-amerikanischen Anbietern wie Apple+ und Disney+ sei das überhaupt nicht zu vergleichen, sagt Claudia Schaffer vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband. „Apple und Disney sind bei der Barrierefreiheit ihrer Streamingportale vorbildlich.“ Wichtig wäre es, alle Anbieter gesetzlich zu Barrierefreiheit zu verpflichten, „damit keiner einen Wettbewerbsnachteil hat“.
Neuer Medienstaatsvertrag zu lasch
Eine Chance dafür wäre der neue Medienstaatsvertrag, der den bisherigen Rundfunkstaatsvertrag ablöst. Damit setzt Deutschland die audiovisuelle Mediendienst-Richtlinie (AVMD) der Europäischen Union um, Deadline ist hierfür September dieses Jahres. Ziel ist eine moderne und zukunftssichere Regulierung von Medienanbietern und ihren Angeboten.
Doch die Anforderungen für barrierfreie Web-Angebote sind darin viel zu lasch formuliert. Laut Paragraf 3 des Medienstaatsvertrags „sollen“ Anbieter*innen ihre Angebote barrierefrei gestalten, sind dazu aber nicht gezwungen, kritisiert der Gehörlosenbund. „Diese Sichtweise, die barrierefreien Zugang lediglich als einen Kostenfaktor betrachtet, ist unserer Meinung nach verfassungsrechtlich bedenklich.“ Flächendeckende Barrierefreiheit wird es in Deutschland also auch künftig nicht geben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern