Barnier wird Frankreichs Regierungschef: Aushilfspremier von Le Pens Gnaden
Frankreich hat mit Michel Barnier einen Premier – endlich, könnte man sagen. Wenn er nicht von Le Pen abhängig wäre.
M ichel Barnier, der von Präsident Macron für den voraussichtlichen Aushilfsjob des Premierministers ausersehen wurde, kann mit keiner Schonzeit oder mit Vorschusslorbeeren rechnen. Er tritt sein Amt an und ist schon auf der Abschussliste der Oppositionsfraktionen, die ihn bei der erstbesten Gelegenheit stürzen wollen.
Barnier soll dafür geradestehen, dass Emmanuel Macron die Ergebnisse der letzten Wahlen schlicht ignorieren und einfach wie zuvor weitermachen will.
Die Macronisten haben nach dem Verlust der absoluten Mehrheit 2022 bei den Wahlen im Juli auch ihren Anspruch auf die Regierungsführung verloren. Viele ihrer Sitze haben sie nur deshalb retten können, weil sie mit der vereinten Linken Absprachen gegen die bedrohlich erstarkte extreme Rechte getroffen hatten.
Die linke Neue Volksfront (NFP) konnte als stärkster der drei Blöcke in der Nationalversammlung der demokratischen Tradition in Frankreich folgend Ansprüche erheben. Mit Lucie Castets, einer neuen und mit keiner der Parteien liierten Führungspersönlichkeit, hatte die NFP eine glaubwürdige Kandidatur für die Umsetzung des Programms der Linken.
Macronismus mit dem Brecheisen
Macron hatte indes keine Sekunde lang die Absicht, die Forderung der Wähler*innen nach einer Alternative zu seiner Politik und seiner monarchischen Herrschaft ernst zu nehmen. Er will als Präsident keine Koexistenz oder eine wirkliche Kohabitation (wie dies in Frankreich genannt wird) mit einem Regierungschef aus den Reihen seiner Gegner. Für ihn ist der Premier ein Untergebener, der seine Weisungen ausführt. Und dabei soll es mit Barnier auch bleiben.
Je länger Frankreich auf den Namen des neuen Premiers warten musste, desto mehr entstand der doppelt negative Eindruck, dass Macron entweder vor der Aufgabe der Nominierung ratlos war oder absichtlich auf Zeit spielen wollte, um den Widerstand der Parteien zu brechen. Denn er wollte das Unmögliche: Dass sich die bisherigen Gegner versöhnen und zu einer „breiten Koalition“ zusammenschließen, die dann die exklusiv von ihm beschlossene Linie einschlagen würde.
Rechtsruck durch die Hintertür
Stattdessen hat Frankreich jetzt einen Premierminister, der von Beginn an von der Gnade der Rechtspopulisten unter Marine Le Pen abhängig ist. Denn bei einer etwaigen Vertrauensabstimmung könnten ihre Stimmen entscheidend sein. Daher gewähren sie Barnier eine Chance – mit der expliziten Bedingung, dass er ihre Forderungen „respektiert“.
Man hatte gedacht, dass die extreme Rechte bei den Wahlen den Kampf um die Macht verloren hätte. Nun könnte sie aber durch die Hintertür Macht und Einfluss ausüben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“