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Bannmeile für Junkies

■ Polizei verfügt „Aufenthalts- und Durchquerungsverbote“ für das Viertel und den Bahnhof

Bremen hat keine Bannmeile. Eigentlich, denn mittlerweile hat sie doch eine, und zwar für 46 Junkies. Denen hat die Polizei nämlich die halbe Stadt verboten. Seit zwei Jahren werden via Stadtamt „Aufenthalts- und Durchquerungsverbote“ für Junkies ausgesprochen, die öfter mal beim Dealen beobachtet oder mit Rauschgift in der Tasche aufgegriffen worden sind.

Auf einem mit Filzstift markierten Plan wird ihnen das Ostertor, das Steintor und die Gegend um den Bahnhof als Sperrgebiet mitgeteilt. Dort dürfen sie sich nicht aufhalten, nicht einmal durchfahren, und zwar für ein halbes Jahr. Wer erwischt wird, muß blechen, und zwar 200 Mark, ersatzweise ein Tag Knast. In zwei Fällen wurde diese Strafe bereits verhängt.

Pikant ist, daß mitten im Sperrgebiet auch die Drogenberatungsstelle Drobs liegt. Entsprechend sind auch die Reaktionen aus der Politik. „Das ist drogenpolitisch und gesellschaftspolitisch verheerend“, kommentiert die grüne Sozialpolitikerin Karoline Linnert. Und ihre Kollegin Elke Steinhöfel von der SPD tutet in dasselbe Horn: „Mindestens zur Drobs muß man doch kommen.“ Die Bremer Polizei versteht die Aufregung eher nicht. „Man soll das nicht dramatisieren“, meint der stellvertretende Polizeipräsident Albert Lohse. Die Maßnahme treffe nämlich mitnichten Junkies, sondern Dealer. Da hat Karoline Linnert ganz andere Informationen: „Da geht es auch um Abhängige.“

Das bestätigt der für die Aufenthaltsverbote zuständige Leiter des Stadtamtes, Hans-Jörg Wilkens. Betroffen seien sowohl „Deutsche als auch Ausländer“ und sowohl „Dealer als auch Abhängige“. Nachdem man 1994 mit 21 Aufenthaltsverboten für den direkten Umkreis der Sielwallkreuzung bereits „gute Erfahrungen“ gemacht habe, seien die Verbote inzwischen ausgeweitet worden. Wilkens: „Das wird aus Polizeisicht als sehr effektiv betrachtet.“

Auch juristisch fühlt sich die Polizei in guten Schuhen. In der Begründung stützt sich die Behörde auf das Bremische Polizeigesetz. Danach darf sie „die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Fall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren“.

Von wegen in guten Schuhen, sagt dagegen Rainer Oellerich, Jurist und grünes Mitglied in der Innendeputation. „Ob das Bestand hat, das ist doch ziemlich zweifelhaft.“ Schließlich ginge es beim Polizeigesetz ausdrücklich um den „einzelnen Fall“ von Gefährdung. Oellerich: „Die Verfügung geht aber offensichtlich von einer Dauergefahr aus. Und davon steht nun nichts im Gesetz.“ Ähnlich sieht es auch der Notar und ehemalige Staatsrat für Inneres, Waldemar Klischies: „Das kommt mir vor wie im Mittelalter.“

Albert Lohse von der Polizei wiegelt ab. Es gehe schließlich nur um Leute, die mehrfach beim Dealen erwischt worden seien. Der taz liegt allerdings eine Verfügung vor, bei der sich das „mehrfach“ schon ein wenig relativiert. Die betreffende Person ist einmal wegen des Besitzes und dreimal wegen des Verkaufs von Betäubungsmitteln angezeigt worden. Und das über einen Zeitraum von mehr als zweieinhalb Jahren. „Da steht unter Umständen eine ganz andere Erkenntnislage dahinter“, rechtfertigt Lohse. Die Aufenthaltsverbote gingen von den Kontaktbereichsbeamten vor Ort aus, „und die kennen ja die Leute, die wiederholt aufgefallen sind“. Zuerst würde solchen Leuten ohnehin ein Platzverweis für ein begrenzteres Gebiet erteilt. Wenn sie dann nicht reagierten, käme eben die härtete Maßnahme.

„Mehrfachdealer? Mit der Definition kann man alle zum Teufel jagen“, ärgert sich Karoline Linnert. Die Grünen wollen nun vom Senat genauer wissen, wie er die Maßnahmen beurteilt. Die grüne Angst: Daß das die Vorstufe zu Hamburger Verhältnissen sein könnte. Dort nämlich operiere die Polizei seit rund zwei Monaten massenhaft mit dem Knüppel Aufenthaltsverbot, um die offene Drogenszene aus dem Stadtteil St.-Georg zu vertreiben – und KritikerInnen fügen hinzu: in andere Stadtteile zu verdrängen. J.G./Ase

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