: Banlieue-Politik auf Eis gelegt
In Frankreich bleibt das Amt des Stadtministers nach dem Rücktritt Bernard Tapies vakant/ Anklage wegen Unterschlagung/ Politischer Druck auf die Justiz konnte Anklage nicht verhindern ■ Aus Paris Bettina Kaps
Seinem Image getreu hatte sich Bernard Tapie energisch und im Scheinwerferlicht der Medien auf sein neues Aktionsfeld geworfen: die Vorstädte. Doch das Fazit seiner nur 52tägigen Amtszeit als Minister für Stadtentwicklung ist düster. Tapie mußte zurücktreten, weil ihm Anklage in einer Unterschlagungsaffäre bevorstand. Nun liegt die Vorstadtpolitik auf Eis; Regierungschef Beregovoy will keinen Nachfolger ernennen, sondern sich selbst um das Ressort kümmern.
Frust in den Vorstädten
Damit ist die Banlieue-Politik wieder auf den Stellenwert gesunken, den sie vor den Kämpfen zwischen Jugendlichen und Polizei in Vaulx-en- Velin im Oktober 1990 innehatte: Sie wird lediglich von einer „Interministeriellen Delegation für die Stadt“ betrieben. „Jetzt werden wir wohl wieder zwölf Ministerien durchlaufen müssen, um einen Antrag durchzubringen“, befürchtet ein Mitglied des Vorstadt-Vereins „Action Mantes-La-Jolie“. Das Spektakel, das der parteilose Ex-Minister und die sozialistische Partei in dieser Affäre vorführten, kann den Frust und den Zynismus der Menschen in den Banlieues nur steigern. Die Politiker bewiesen einmal mehr, daß für sie andere Regeln gelten als etwa für einen Jugendlichen, der ein Auto klaut.
Da ist zunächst die Affäre selbst. Tapie gilt als der lebendige Mythos vom Tellerwäscher, der es bis zum Millionär schaffte. Der 49jährige stammt selbst aus der Pariser Banlieue, allerdings aus dem damals noch dörflichen Bourget, und nicht aus einer Problemsiedlung, wie er gerne den Anschein erweckt. Die Sozialisten führten ihn vor als Beweis dafür, daß auch unter einer linken Regierung sozialer Aufstieg und Erfolg möglich sind. Durch sein stets medienorientiertes Auftreten und das Amt als Präsident des Fußballclubs Olympique Marseille wurde Tapie tatsächlich für manche Vorstadt-Kids zum Vorbild.
Nun fragt sich, ob er dabei immer zu den rechten Mitteln gegriffen hat. Der geschickte Finanzjongleur und Unternehmer ist angeklagt, bei seinen Geschäften 1985 die Summe von 13 Millionen Francs unterschlagen zu haben, und zwar auf Kosten seines ehemaligen Partners Georges Tranchant, der inzwischen als Abgeordneter der oppositionellen RPR in der Nationalversammlung sitzt. Tapie bestreitet nicht, daß er das Geld erhalten hat, beteuert aber, die Summe stehe ihm allein zu. Der Ausgang des Rechtsstreits ist nicht abzusehen.
Zweitens: Mehr noch als das bislang schwer durchschaubare Geschäftsgebaren von Tapie schockt das opportunistische Verhalten seiner sozialistischen „Freunde“. Sie ließen ihn sofort fallen, einen Tag später jedoch — offenbar vom Präsidenten selbst zurückgepfiffen — heuchelten sie Sympathie und Unterstützung. Die schärfsten Wendemanöver fuhr Ex-Parteichef Pierre Mauroy. Nach Tapies Rücktritt machte er völlig ungeniert seiner Abneigung Luft: „Tapie war nie mein Fall.“ Dabei war er es, der Tapie vor nur einem Jahr zum Kandidaten der PS für die Regionalwahlen gekürt hatte. Damals prägte Mauroy das Bonmot „Was gut ist für Olympique Marseille, ist gut für die PS“ und beteuerte, der Chef des Fußballclubs stehe der Linken sehr nahe.
Der Mythos vom Gewinner ist zerplatzt
Der dritte Skandal dieser Affäre ist der Versuch hoher Politiker, die Justiz zu knebeln. Nachdem bekannt geworden war, daß die Untersuchungsrichterin Edith Boizette Tapie anklagen wollte, sprach der Noch- Minister öffentlich vom „Justiz-Terror“. Offenbar gab es Versuche, der als hartnäckig bekannten Richterin den Fall zu entziehen. Inzwischen mußte Justizminister Vauzelle zugeben, daß ein hoher Beamter seines Ministeriums Ende April an einem Treffen mit Tapie und seinen Anwälten teilgenommen hat, bei dem diese nach Wegen suchten, die Anklage zu verhindern. Er selbst finde es „nicht anormal“, daß ein Regierungsmitglied in solchen Umständen den Direktor für kriminelle Angelegenheiten und Begnadigungen konsultiert, meinte Vauzelle.
Der Mythos vom ewigen Gewinner Tapie ist vorerst geplatzt. Schlimmer ist jedoch, daß mit ihm auch die Initiative zusammengebrochen ist, die Mitterrand nach den Unruhen von Vaulx-en-Velin gestartet hatte: Damals wurde das Amt des Stadtministers geschaffen, damit ein starker Politiker eine langfristig angelegte Strategie zur Lösung des Vorstadtproblems entwickelt. Tapie hatte Hoffnungen geweckt mit seinem Vorschlag, Unternehmer in die Banlieues zu locken. Dieser Tage sollte der Baulöwe Bouygues im Betonghetto Val-Fourre in Mantes- La-Jolie einen Vertrag zur Finanzierung eines „Bürgerhauses“ unterzeichnen. Der Termin wurde abgeblasen, die Sponsoren können die Scheckhefte wieder einpacken. Mit einem Beamten der „Interministeriellen Delegation“ werden sie wohl kaum spektakuläre Abkommen schließen. Unterdessen engagieren sich eine Reihe von Ministerkollegen in den Banlieues. Für die Sommerferien haben Bildungsminister Lang und Sportministerin Bredin wieder ein nettes Freizeitprogramm ausgearbeitet, um die Kids ruhigzustellen, die weder verreisen noch Jobs zum Geldverdienen finden können. Damit die Vorstadtschulen wieder sicher werden — seit Jahresbeginn gab es dort allein 500 Brandanschläge —, hat der Bildungsminister dieser Tage erstmals Innenminister Quilès um Handreichung gebeten: Von Herbst an soll die Polizei zusammen mit den Schuldirektoren für Sicherheit sorgen. Die sozialen, wirtschaftlichen, strukturellen Ursachen für die Probleme in den Banlieues kommen in diesem Plan nicht vor.
Es ist genau ein Jahr her, daß in Val-Fourré bei Unruhen zwei Beurs und eine Polizistin starben. Seither haben die Vorstädte keine Schlagzeilen mehr gemacht. Die Ruhepause war offenbar zu lang. Können nur brennende Autos und tote Beurs die Stadtpolitik voranbringen?
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