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Wochen-PostBalaleika auf dem Kurfürstendamm

■ Frankfurt schmeißt seinen Kämmerer raus. Ein Koenigs für Berlin

Die vergangene Woche war dem Jammern über die Altlasten des Berliner politischen Personals gewidmet, Landowsky sei Dank. Die Rhetorik der siebziger Jahre erblühte neu, nostalgische Reflexe wurden wach. Wie lang ist's her, daß jeder Abiturient das Stigma dieses Wortes „Ratten“ bereitwillig auf sich nahm.

Dies wäre die Woche, zu tun, was die Wahlbevölkerung des Städtchens schon seit dem 10. November 1989 bewegt: das Nicht- Berliner Personal daraufhin in Augenschein zu nehmen, ob es für hiesige Verwendung taugt. Da ist Tom Koenigs. Anfang 50, geläuterter 68er, kompetenter Übersetzer aus dem Spanischen, zuletzt für Bündnis 90/ Die Grünen Kämmerer in Frankfurt/ Main, der lebende Beweis dafür, daß sich linke Politik und betriebswirtschaftliches Denken miteinander vertragen. Die Bürgermeisterin hat ihn gefeuert. Dumm für Frankfurt. Für Berlin eine Chance.

Mal sehen, wer das erste Angebot macht. Einen, dem die klamme Haushaltslage nicht die Sinne raubt, könnte das arme Berlin gut gebrauchten. Ein einziger Satz qualifiziert Tom Koenigs für Berliner Aufgaben: Vom Kulturstaatssekretär bis zum Verkehrssenator wären viele Positionen einschlägig für einen, der durch seine Stadt fährt und sich „über jedes Projekt freut, das wir nicht gebaut haben“.

Die Große Koalition regiert die Stadt mit den Techniken des Kalten Krieges: Übereinzustimmen, nicht übereinzustimmen, das war ein Fortschritt in der Ostpolitik, doch verwalten kann man damit nicht einmal eine Büroklammerfabrik.

Seit 1990 beteuern die Senatoren, es müßten Prioritäten gesetzt werden, Schnitte gemacht werden, oft schon sahen wir sie mit verquollenen Augen und blassem Teint aus diesen Klausurtagungen heraustreten, ohne auch nur eine einzige Priorität gesetzt, einen Schnitt gemacht zu haben, daß man ihnen ruhigen Tones schamlose Indolenz vorwerfen kann und sie dazu beifällig nicken.

Mit einem einzigen Satz hat sich SPD-Sozialexperte Dreßler für einen Job in der Regierung der Berliner Republik disqualifiziert. Es könne doch nicht richtig sein, so lautete sein aktueller Beitrag zur Rentenreformdebatte, daß einer nach 30 Jahren Arbeit so viel Geld vom Staat bekäme wie der, der 30 Jahre lang „Balaleikaspielen auf dem Kurfürstendamm“ getrieben habe.

Die Rhetorik funktioniert ähnlich wie bei Landowsky, nur unter anderem Vorzeichen, aber das macht es auch nicht verdaulicher. Ku'damm liegt in Berlin, das liegt im Osten, die ostelbischen Steppenbewohner spielen östliche Instrumente und wollen „unser“ Westgeld. Au weia, zurück nach Wuppertal, mit Bruder Rau an den rheinbündlerischen Leierkasten.

Mechthild Küpper

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