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Bären, Bienen, Bolschewiken

Alles schon mal dagewesen, lehrt der Besuch eines Archivs mit 14.000 Wahlplakaten. Ob Affen, Löwen, Schlangen – der halbe Zoo war schon im Einsatz  ■ Von Inge Braun

Gemächlich watschelt ein Rauhaardackel in den Berliner Wahlkampf. Hat er gerade seine Duftmarke gesetzt? „Wir lassen neue Bäume wachsen“, versprach der Vierbeiner auf einem CDU-Wahlplakat vor acht Jahren. Heute verspricht man Arbeitsplätze, keine Bäume. Braunbären jedoch sind nicht aus der Mode gekommen. Bereits 1987 waren sie in der Noch- Mauerstadt anzutreffen: „Wir machen Berlin bärenstark“, versprach die CDU.

„Bei Tieren bleiben die Menschen stehen“, sagt Klaus Gehrmann. „Tiere sind immer liebenswürdige Geschöpfe geblieben.“ Der Oberstudienrat ist ein leidenschaftlicher Sammler. Seit 1961 hortet der Leiter des Oberstufenzentrums Banken und Versicherungen in Tiergarten Wahlplakate aller deutschen Landes- und Bundestagswahlen. Aus dem Steckenpferd des Lehrers, der früher in seinen politischen Seminaren gerne Wahlplakate als Quellen eingesetzt hat, ist inzwischen eine in Deutschland einmalige Sammlung von unschätzbarem Wert geworden. Rund 14.000 Wahlplakate von 250 verschiedenen Parteien jeglicher politischer Couleur liegen im Archiv der Schule. Die ältesten stammen aus dem Kaiserreich. Damals gab es noch keine Plakate. Als Wahlaufrufe wurden Handzettel an die Leute verteilt.

Gehrmann, der CDU-Mann, kramt ein SPD-Plakat von 1953 hervor. Es besteht nur aus Text, viel davon ist kleingedruckt. Kein Mensch würde heute so ein Plakat lesen. Der Trend geht zum Slogan mit Signalwirkung. Durch permanente Wiederholung soll auf die bevorstehenden Wahlen aufmerksam gemacht werden. Viel davon scheint allerdings nicht in den Köpfen der Passanten hängenzubleiben. Nach einer Umfrage vom September erinnern sich nur 43 Prozent der Berliner an ein oder mehrere Wahlplakate, die meisten an das Portrait von Ingrid Stahmer, der Spitzenkandidatin der SPD.

„Tiere sollen den Wähler einlullen“, erklärt der Wirtschaftspädagoge. Auf Wahlplakaten haben sie, besonders in Berlin, eine lange Tradition. In letzter Zeit werden sie verstärkt als reine Sympathieträger eingesetzt. Tiere, denen menschliche Eigenschaften zugeschrieben werden, wurden immer wieder dazu benutzt, den politischen Gegner zu attackieren und zu verunglimpfen. Der halbe Zoo war schon im Einsatz, darunter Affen, Känguruhs, Löwen und Schlangen. Seit kurzem hat sich sogar eine Laus in den Berliner Wahlkampf eingemischt. Das Spektrum der CDU-Warnrufe in den siebziger Jahren reicht beispielsweise von „Wir pfeifen auf linke Vögel“ bis zu „Befreit Berlin vom Tausendfilzler“ – „Eine Eigenzüchtung der SPD“. Auf einem FDP-Plakat von 1985 sind emsige Bienen versammelt: „Auch eine Kleine Partei kann Große Dinge Tun.“ Momentan agiert die Splitterpartei wieder mit Tieren und schickt schwarze und rote Spinnen und kopulierende rot-grüne Frösche als Warnfiguren auf Stimmenfang. Die beiden Katzen, mit denen die FDP gegenwärtig in einigen Bezirken vor Koalitionen warnt, die sie ins Aus kicken, sind nicht mehr die Jüngsten. Bereits 1963 zogen sie für die Partei in den Wahlkampf.

Aufbewahrt sind auch die Klassiker aus der Zeit des kalten Krieges. Ein CDU-Poster zur ersten Bundestagswahl 1949 beispielsweise: Der dämonische Blick einer Mongolenfratze aus dem Osten soll ein Bild des Schreckens vermitteln. Lange hielt das Spiel mit der Angst vor den Bolschewiken an, reichte bis in die sechziger Jahre. Heute soll wieder Angst geschürt werden mit CDU-Slogans wie „Wer Rot/Grün wählt, riskiert die Kommunisten“. Und auf einem Bären-Plakat der CDU wird wieder gehetzt: „Bloß keine rot- grüne Laus im Pelz.“

In Reih und Glied hängen sie hier alle, die Helden des Wirtschaftswunders, mit und ohne Bärte, manche bebrillt, allesamt mit Krawatte und fleischfarben gezeichneten Gesichtern: Ludwig Erhard und seine dicke Zigarre, Erich Ollenhauer, der junge Willy Brandt. Auch eher dunkle Gestalten der Nachkriegsgeschichte wie Hans-Georg Kiesinger – ohne Uniform – und Hans Filbinger – ohne Richterrobe – sind hier verewigt. Die Portraitsammlung ist eine Männerrunde. Frauen tauchen in der Galerie der Köpfe erst in den siebziger Jahren vermehrt auf. Und immer wieder Konrad Adenauer mit seinem zerfurchten Gesicht. Der einstige Übervater schaut vom Plakatständer, als wollte er aufs neue sagen: „Was geht mich mein Geschwätz von gestern an.“ Oft nämlich haben die Parolen und Phrasen der Politiker kaum die Wahlnacht überlebt.

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