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■ Kapitäne drücken wieder die Schulbank und hoffen auf neue Jobs an Land - als maritime Umweltschützer

Über zwei Jahrzehnte ist er seiner „Braut“ treu geblieben, danach kam die „Scheidung“: Geert Brinkmann begann mit 17 Jahren voller Erwartungen in der Seefahrt. Vom Decksjungen zum Kapitän führte sein Weg, bis immer mehr deutsche Schiffe unter fremde Flaggen der Billigregister kamen. Enttäuscht ging er mit 41 Jahren von Bord. Inzwischen drückt der arbeitslose Kapitän noch einmal die Schulbank. Brinkmann hofft als „maritimer Umweltschützer“ auf einen neuen Job an Land.

So wie Brinkmann verlassen demnächst 18 Kursteilnehmer, arbeitslose Kapitäne und Schiffsingenieure, die Bremer Hafenfachschule (HfS). Ein Jahr haben sie in der einmaligen Fortbildung am Computer trainiert, Wirtschaftsenglisch, Ökologie und Ozeanographie sowie Gefahrgut-Richtlinien gebüffelt. Nach einem letzten Praktikum bei Behörden und Betrieben fühlen sie sich fit für den Arbeitsmarkt.

„Wahrscheinlich ist das meine letzte Chance zum Absprung von der Seefahrt“, glaubt Brinkmann. Manchmal denkt er noch etwas wehmütig an seine Fahrenszeit zurück. Doch in den 80er Jahren veränderte sich die Situation. Die Reeder flaggten viele Schiffe aus, die soziale Absicherung wurde in den Heuerverträgen immer kleiner geschrieben. 1993 hängte Brinkmann schließlich seine Uniform an den Nagel und wurde arbeitslos.

Tausenden deutscher Seeleute ergeht es seit Jahren ähnlich. Bei Entlassung oder Abmusterung wegen unzumutbarer „Sklavenverträge“ ist der Weg in die Langzeitarbeitslosigkeit und in den sozialen Abstieg nicht weit. Die Arbeitsämter an der Küste zwischen Emden und Rostock zählten Mitte 1995 rund 4.500 Stellenbewerber, vom Kapitän bis zum Bootsmann und Schiffssteward. In den Statistiken der norddeutschen Heuerstellen sind allein mehr als 1.000 Bewerbungen von Offizieren und Ingenieuren registriert, die auf ein neues Kommando warten.

Viele dieser spezialisierten Seeleute könnten nach Ansicht von Jens-Peter Harbrecht ebenfalls eine Aufgabe als „Sachverständige für den internationalen maritimen Umweltschutz“ übernehmen. Harbrecht leitet das gleichnamige Fortbildungsprojekt an der Bremer Hafenfachschule (HfS). Er denkt dabei nicht nur an die Verhütung von spektakulären Tankerunfällen: Auch bei der alltäglichen Umweltverschmutzung, bei Hafenkontrollen, bei der Unfallverhütung in Betrieben und Behörden sowie bei der Bekämpfung von maritimen Unfallfolgen sieht er Bedarf an gutausgebildeten Experten.

Doch derzeit ist noch unklar, wie viele der 19 Teilnehmer dieser Weiterbildung tatsächlich einen neuen Job finden. Und das Arbeitsamt möchte mindestens die Hälfte der Absolventen vermittelt sehen, bevor an die Finanzierung eines weiteren Lehrgangs im kommenden Jahr gedacht wird. Die Ämter sind auch skeptisch, was das Alter der Geförderten betrifft: Mit durchschnittlich 47 Jahren liegt es über der kritischen Grenze der Förderrichtlinien. Die Betroffenen sehen das anders. „Mit 55 Jahren bekomme ich zwar meine Seemannsrente, aber bis dahin muß ich doch nicht jahrelang untätig herumsitzen“, kritisiert ein Kapitän, der ebenfalls „maritimer Umweltschützer“ werden will. Sein Alter hält er nur für einen Vorteil. Wenn demnächst strengere Sicherheits- und Umweltrichtlinien in den europäischen Häfen gelten, dann müßten „Praktiker und keine Schulabgänger“ für Kontrollen sorgen: „Uns altgedienten Fahrensleuten kann doch kein Kapitän etwas vormachen, der Sicherheitsmängel auf seinem Dampfer verstecken will.“

Hans-Christian Wöste, dpa

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