: Bach-Suiten als Gesamtkunstwerke
In dem Sechsteiler „Yo-Yo Ma Inspired by Bach“ trifft die Musik auf andere Künste
Es gibt musikalische Genres, die sich gut illustrieren lassen: der Jazz mit seinen coolen Saxofonisten, die Oper mit ihren glamourösen Diven und natürlich die Popmusik, bei der die Bilder inzwischen oft schon wichtiger sind als die Töne. Doch was außer konzentriert auf ihren Instrumenten spielenden Virtuosen hat die Kammermusik optisch zu bieten? Dieses Manko stachelte offensichtlich den Ehrgeiz von Yo-Yo Ma an. Der chinesisch-amerikanische Cellist ist bekannt für seine kreative Abenteuerlust. So arbeitete er etwa mit dem Jazzvokalisten Bobby McFarrin zusammen und interpretierte die Musik von Ennio Morricone sowie Samba-Klassiker und Tangos von Astor Piazzolla. Zum Superstar der Klassik wurde er 1997 durch seine Einspielung von Johann Sebastian Bachs „Suiten für Solo-Cello“, und diesen große Erfolg nutzte er, um für jede der sechs Suiten einen einstündigen Film zu produzieren.
In diesem Projekt versuchte er die Musik von Bach mit anderen Kunstformen zu vereinen. Dabei entstanden jeweils mit anderen Kollaborateuren extrem unterschiedliche Filme, und diese Bandbreite macht den großen Reiz dieser Filmreihe aus. Dabei schienen sich einige Projekte wie von alleine anzubieten: So lag es nahe, zu Bachs Tanzmusik (Suite wird als „Folge von Tanzstücken“ definiert) eine Choreografie zu erarbeiten. Dies tat Mark Morris für seine vierzehnköpfige Ballettgruppe in dem Film „Falling down Stairs“. Zu einer anderen Bachsuite tanzt in „Struggle for Hope“ der Kabuki-Künstler Tamasaburo Bando. Der Filmemacher Niv Fichman führt Ma und Bando zu einem Pas de deux zusammen, bei dem der Japaner in traditionellen Frauenkleidern in einigen Einstellungen den versunken spielenden Cellisten umtanzt und beide zu einem harmonisch wirkenden Paar vereint werden.
Die Musik von Bach wurde wegen ihrer strengen Logik oft mit der Architektur vergleichen, und auf dieser Verbindung basiert der Film „The Sound of Carceri“. Zeichnungen des Architekten Giovanni Battiasta Piranesi aus dem 16. Jahrhundert wurden am Computer digitalisiert und zu dreidimensionalen virtuellen Räumen weiterentwickelt, in denen man nun den Cellisten spielen sieht. Zudem wurde die Akustik seines Instruments so verändert, dass sie dem jeweiligen Raumgefühl entspricht. In „The Musik Garden“ sollte dagegen ausgehend Bachs erster Cellosuite ein real existierender Garten gestaltet werden. Dafür arbeitete Ma mit der Landschaftsplanerin Julie Messervy zusammen. Ihr ehrgeiziges Projekt im Zentrum von Boston blieb zwar schon im Planungsstadium im Unkraut der Bürokratie hängen, aber durch Spezialeffekte können wir Ma schließlich doch im erträumten Garten Bachs Musik spielen sehen . Einen abgedrehten Humor bewies Ma mit seinem Vorhaben, eine Bachsuite von den Eislauf-Weltmeistern Jayne Torvill und Christopher Dean interpretieren zu lassen. Doch die Cello/Kufen-Kür „Six Gestures“ ist die Enttäuschung der Reihe, denn sie schlittert zu nah am Kunstgewerbe entlang.
Alle bisherigen Filme dokumentierten eher die kreativen Bemühungen in anderen Künsten, als dass sie selber Kunst wären. Doch mit Atom Egoyan hat sich Jo-Jo Ma für den letzten Teil auch einen der originellsten Regisseure unserer Zeit geholt, und dieser hat mit „Sarabande“ einen kleinen Spielfilm gedreht, in dem verschiedene musikalische und psychologische Motive spielerisch wie in einer Fuge gegeneinander gesetzt, wiederholt und variiert werden. Und Egoyan hat auch das schönste Bild vom Musiker gefunden: Man sieht nur seine Füße, die beim Spiel mitwippen und schwingen, und so einen zugleich natürlichen und intensiven Kontrapunkt zur Musik bilden. Wilfried Hippen