piwik no script img

BÜHNE BERLIN

■ UNIFORM - KNALLCHARGEN

B Ü H N E B E R L I N U N I F O R M - K N A L L C H A R G E N Manchmal machen sich die großen Theater einen Jux: Sie lassen irgendwo am Rande eine Produktion mitlaufen, die nicht ganz ernst gemeint ist, in der nicht seriös agiert, sondern ulkig gemimt wird, von niemandem - nicht einmal im eigenen Haus - ganz ernstgenommen. Das Schöneberger Staatstheater am Rathausplatz hat solche Späße ins Extrem getrieben und unterhält eine ganze Truppe von Knallchargen und Knattermimen, die „FPR“ (Freiwillige Polizeireserve). Die Freie Gruppe wurde 1961 gegründet, der damalige Senats -Chefdramaturg Joachim Lipschitz (SPD) beschrieb ihre Funktion so: „Wir wollen nicht in Kurzausbildung Männer wieder oder zum ersten Male zu Soldaten machen, sondern sie lediglich darin unterweisen, wie sie örtlichen Störenfrieden rasch und wirkungsvoll entgegentreten und ernsthafte Schädigungen von Personen und Sachen, womöglich gar unnötiges Blutvergießen, vermeiden.“

Schon damals hatte das Schöneberger Staatstheater offenbar ein libertäres Verhältnis zur Wahrheit - der taz wurde ein Foto zugespielt, auf dem „Blutvergießen“ von der FPR -Laienspielgruppe nicht verhindert, sondern geradezu eingeleitet wird:

Das Blut des Borkenkäfers wird hier vergossen - alte Berliner werden sich noch an den fürchterlichen Waldbrand 1964 erinnern, der, aufgrund der FPR-Waldimprovisation, drei Viertel des Grunewalds vernichtete.

Mit taktischem Geschick den Borkenkäfer abgefackelt das kann natürlich nicht alles sein für eine so ehrgeizige Spielschar wie die FPR: „Eigentlich sollten sich die östlichen Machthaber freuen“, führte 1961 Lipschitz (SPD) weiter aus, „daß wir auf ein Mittel sinnen, den gerechten Zorn der Berliner Bürger über diejenigen, die ihren Frieden stören, in einer Weise zu kanalisieren, die sicherstellt, daß auch der unbändigste Agitator schnell unschädlich gemacht wird, ohne ernsthaften Schaden zu nehmen“. Auf die schweren Pannen im Lipschitzischen Satzbau wollen wir nicht weiter eingehen - stattdessen ein weiteres Foto, das die FPR -Spielschar bei einer Übung zur Unschädlichmachung von Agitatoren zeigt:

Man möchte sich am liebsten als freiwilliger (Saboteur) bei der FPR melden. Nur die Arm- und Handhaltung, die auf dem Borkenkäfer-Foto beim vorderen Schauspieler so schön zu sehen ist, würde die Schauspieler unserer Generation wohl doch zuviel mimetische Phantasie und physische Anstrengung kosten....Klaus Nothnagel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen