BUNSSENPRENNER: Lammkeule pur
■ Australische Wissenschaftler wollen mit einem Hormon die Schafschere ersetzen
Die kulinarischen Schöpfungen der Gen-Doktoren werden immer vielseitiger. Jetzt geht es dem Schaf an den Kragen, genauer an die Wolle.
Die Tortur des Scherens gehört bald der Vergangenheit an, versprechen australische Wissenschaftler. In der Tat ist das Wollelassen für die Schafe kein Vergnügen. Es heißt stillgestanden, doch kaum ein Tier kommt ohne blutige Schnitte davon. Das tut nicht nur dem Schaf, sondern auch dem Schäfer weh. Wolle mit Hautschnipseln gilt als minderwertige Ware.
Nun soll ein Hormon, der „Epidermale Wachstumsfaktor“ (EGF), die Schere ersetzen. EGF tritt in geringen Mengen bei allen Säugern auf. Der Stoff schwächt den Haarbalg. Schafen, denen das Hormon gespritzt wird, fällt die Wolle glatt von der Haut ab. Den Australiern ist es gelungen, EGF in großen Mengen im Labor herzustellen. Dafür haben sie das für die EGF-Synthese verantwortliche Gen isoliert und in ein Bakterium eingesetzt, das im Labor zur raschen Vermehrung animiert werden kann. Das von den Bakterien hergestellte EGF wird vom Nährmedium abgetrennt und gereinigt.
Schafe, die ihre Wolle lassen sollen, bekommen zum Zeitpunkt der Injektion einen perfekt sitzenden Plastikmantel übergestülpt. Wenn nach sechs Wochen die Hülle fällt, sind die Tiere in frischen Wollflaum gekleidet, und der Mantel ist mit einem perfekten Vlies gefüttert.
Noch in diesem Jahr wollen die Australier ihr neues Produkt durch die Zulassungsbehörden schleusen. Thomas MacRury von der Firma Pitman-Moore, die die Vermarktungsrechte besitzt: Die Schafe bekommen „lediglich eine kleine Dosis eines natürlich auftretenden Hormons“. Das Fleisch der behandelten Tiere könne bedenkenlos verzehrt werden, weil die EGF-Rückstände kaum nachweisbar seien.
Ob Herr MacRury die Kontroverse um das gentechnisch hergestellte Rinderwachstumshormon (r BST) beflissentlich übersieht? Auch dieses Hormon, das Kühe zur erhöhten Milchproduktion anregen soll, wird als „natürlich“ und „sicher“ angepriesen. Dennoch haben die Behörden in den USA und Europa für r BST ein Anwendungsmoratorium ausgesprochen.
Die Nebenwirkungen von EGF seien unbedenklich, ließen die Australier verlauten, obwohl trächtige Schafe bei Behandlung mit dem Hormon zusammen mit ihrer Wolle auch die Föten abstoßen. Weniger positiv fiel das Urteil von Krebsforschern der Universität Miami aus. Sie experimentieren mit EGF als Mittel gegen (!!) Haarausfall während der Chemotherapie. Ratten, denen das Hormon auf die Haut gerieben wurde, behielten bei anschließender Chemotherapie im Gegensatz zu den Kontrolltieren ihr Fell. Wurde EGF jedoch injiziert, dann entwickelten die Tiere Krebsgeschwüre. Silvia Sanides
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen