: BRD- und DDR-Paß für alle Deutschen
Grüne einigen sich auf vier Essentials für eine zukünftige Deutschlandpolitik / Statt deutscher Frage eine europäische Lösung anstreben / Bundestag soll endgültig die polnische Westgrenze anerkennen / Grüne möchten KSZE-Initiative für europäische Friedensordnung ■ Von Gerd Nowakowski
Bonn (taz) - Mit nachdrücklichem Lob für Außenminister Genscher (FDP) und einer gleichzeitigen Distanzierung von dem derzeitigen „nationalen Taumel“ haben die Grünen in Bonn auf die Ausreiselösung für die DDR-BürgerInnen reagiert. Fraktionssprecher Helmut Lippelt und die Grünen-Vertreterin im deutsch-deutschen Ausschuß des Bundestages, Karitas Hensel, kritisierten zugleich, die Außenpolitik der Bundesrepublik sei von „Kurzatmigkeit“ und fehlenden Konzepten geprägt, die den Verdacht „versteckter Revisionsabsichten“ schürten. Einen Tag vor der für heute angesetzten interfraktionellen Gesprächsrunde des Bundestages zur Deutschlandpolitik stellten die Grünen vier parlamentarische Initiativen vor. Ziel sei es, der DDR ein Minimum an Stabilität zu garantieren, damit dort ein Reformprozeß möglich werde. Zugleich sollen Schritte in Richtung einer europäischen Friedensordnung gemacht werden.
Konkret fordern die Grünen eine doppelte Staatsangehörigkeit - mit Wahlmöglichkeiten sowohl für BürgerInnen der DDR als auch der Bundesrepublik. Weiter soll sich das Parlament zur Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als Westgrenze Polens bekennen sowie eine Nichtigkeitserklärung des Hitler-Stalin-Pakts abgeben und die Bundesregierung zu einer KSZE-Initiative für eine „europäische Friedensordnung“ auffordern. Lippelt betonte, die deutsche Außenpolitik müsse angesichts des Wandels in Osteuropa die historischen Chancen wahrnehmen, die über die nationalstaatliche Struktur hinausgehen. „Grenzen müssen endgültig anerkannt werden, um durchlässig zu werden“, sagte Lippelt. Auch „die deutsche Frage muß geschlossen werden, damit wir in der europäischen Frage weiterkommen“. Nur auf diesem Wege könne sich auch die DDR für eine europäische Entwicklung öffnen. Eine doppelte Staatsangehörigkeit mache „eine nationale oder nationalistische Politik unmöglich, ohne die besonderen Beziehungen zwischen den beiden deutschen Gesellschaften zu negieren“, führte Frau Hensel aus. Deutlich gemacht werden solle, daß die Lösungen für Europa nicht in einem „nationalstaatlichen Ordnungsgefüge, sondern in einem demokratisch bestimmten Zusammenwachsen im Rahmen supra -nationaler und dezentraler Organisationsformen zu suchen sind.“ Die mit der doppelten Staatsangehörigkeit verbundene indirekte Anerkennung der DDR bedeute allerdings keine Anerkennung der „Herrschaftspraktiken des SED-Regimes“, fügte Frau Hensel hinzu.
Die Anträge der Grünen waren auf einer Klausurtagung der Bundestagsfraktion vorbereitet worden. Dabei kam es zu Meinungsverschiedenheiten in der Frage der doppelten Staatsangehörigkeit. Mit Hinweis auf die Beschlußlage der Partei zu offenen Grenzen für Flüchtlinge lehnten einige Abgeordnete eine Vorzugsbehandlung für DDR-BürgerInnen ab. Umstritten ist bei einigen Grünen Fraktionären selbst, ob die deutsche Frage offengehalten oder geschlossen werden müsse. Otto Schily hat bereits vor längerer Zeit über eine „Neuvereinigung“ sinniert. Auch der Abgeordnete Eckhard Stratmann spricht davon, daß „von einer nicht offenen deutschen Frage keine Rede sein kann“. Er ist überzeugt, daß angesichts eines für die DDR unausweichlichen Perestroika -Prozesses die Frage der Wiedervereinigung von DDR-Seite auf die Tagesordnung gesetzt werde. Stratmann wendet sich auch gegen die häufig geäußerte Ansicht, ein Festhalten an einer Wiedervereinigung verhindere einen Demokratisierungsprozeß. Ein Einigungsprozeß könne das genau gegenteilige Ergebnis haben, hofft Stratmann.
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