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Archiv-Artikel

BERNHARD PÖTTER über KINDER Dürfen Eltern Essen wegschmeißen?

„Kochen für Kinder“-Ratschläge gibt es genug. Das aber hat uns noch gefehlt: Ein Buch „Essen für Eltern“

„Kochen für Kinder“-Ratschläge gibt es genug. Das aber hat uns noch gefehlt: Ein Buch „Essen für Eltern“. Eine unheimliche Begegnung der dritten Art! In meiner eigenen Küche! Der rote Wackelpudding in der Tupperschüssel sah genauso aus wie eine höhere Lebensform von Alpha Centauri: Halb durchsichtig, rubinrot, eine gallertartige Masse in wilden Zuckungen. Und er sprach zu mir: „Töte mich nicht, Erdling! Ich komme in friedlicher Absicht.“

Es hat ihm nichts genutzt. Der Wackelpudding von Alpha Centauri wurde zu den anderen seltsamen Lebensformen in der Biotonne entsorgt, weil er schon ziemlich jenseitig aussah. Wieder eine Chance vertan, einen friedlichen Kontakt mit extraterrestrischer Intelligenz aufzunehmen. Ja, ich gestehe: Der Empfang für Außerirdische zum Abendbrot könnte bei uns herzlicher sein. Und: Ja, wir schmeißen Lebensmittel weg.

Allerdings nur in Notwehr. „Irgendwie kann ich das nicht“, sagt Anna immer. Ich kann es inzwischen. Auch wenn ich als Kind gelernt habe: „Es wird gegessen, was die Kelle schmeißt.“ Als Kind einer Generation, die vor allem nach dem Krieg in Berlin Hungerwinter und Blockade erlebt hat, war immer klar: Essen gehört in den Magen, egal wie es aussieht oder schmeckt. Und obwohl ich heute weiß, dass man Essen ruhig mal an die Mikroben auf dem Kompost verfüttern kann, funktioniere ich viel zu oft noch als Instinktesser. Nämlich wenn unsere Kinder Reste stehen lassen. Und, wie Jonas, mit einem gönnerhaften „Ich will nicht mehr. Kannst du haben, Papa“ vom Tisch aufstehen.

Als die Kinder klein waren, war das sehr gesund. Und meistens sogar auch noch lecker. Siebenkornbrei, Haferschleim, Grießbrei, mit Honig gesüßt – kann ich sehr empfehlen. Biomöhren mit Biokartoffeln – mit Nachwürzen sehr fein.

Das Problem: Aus Allesfressern werden wählerische Konsumenten. Und so etwa ab zwei Jahren schlägt die elterliche Resteentsorgung schwer auf den Magen. Kalte Pommes frites voller Ketchup. Arme Würstchen im Darm (!). Rohes Toastbrot mit Erdnussbutter und Marmelade. Fettige verbrannte Fischstäbchen. Wider besseres Wissen wandert viel davon auch in unsere Mägen. Und wir können nur hoffen, dass der Satz nicht stimmt: „Der Mensch ist, was er isst.“ Zur Erziehung von uns Fütterberechtigten gibt es eine Menge schlauer Ratgeber: „Kochen für Babys“, „Sandwiches für Schreikinder“ oder „Haute Cuisine gegen Hautkrankheiten“. Werden sie von mehr oder minder Prominenten aus Showbiz und Politzirkus für mehr oder minder gute Zwecke veröffentlicht, dann haben sie Titel wie „Bio-Kochen mit Bio“, „Saugut brutzeln mit Renate“, „Kam der Koch, fraß es doch“ oder „Nie mehr würgen – koch mit Jürgen“.

„Da sehe ich eine riesengroße Marktlücke“, sagte Anna. Wir saßen im Bett, wärmten uns an einem Pott Kamillentee und kurierten die Magenverstimmung aus, die wir uns von den übrig gebliebenen Speckmäusen vom Kindergeburtstag geholt hatten. Ich stand auf, schluckte ein paar angeknabberte Smarties, die ich mit lauwarmen Resten der Sojamilch runterspülte, setzte mich an den Küchentisch und entwarf ein Exposé für den neuen Ratgeber „Mit zusammengebissenen Zähnen – Essen für Eltern“.

Die Zutaten werden hier nicht verraten. Aber allen großen Verlagen läuft schon das Wasser im Mund zusammen. Kein Wunder bei solchen Kapiteln: „Schweinekopf nach Hausmänner-Art“ (Kochen wie bei Vatern), „Vollgesülzt“ (Kochen als Gesprächstherapie), „Das Gläschen nach dem Gläschen“ (kleine Getränkekunde), „Pürieren und Parieren“ (Suppe kochen für schwer Erziehbare), „HIPP kochen, hop sein“ (Das neue Lebensgefühl der jungen Generation), „Gemüse schälen – ja, aber gewaltfrei“ (politisch korrekte Speisenfolgen), „Jedes Rind kann schlafen lernen“ (Anmerkungen zum Fleischkonsum), „Kalbträume und Geschmatzeltes“ (Tischsitten und Erziehung), „Nichts gebacken kriegen“ (Weihnachtsplätzchen), „Spaghettisaucen und Spaghettiträger“ (Aphrodisiaka für Eltern) und „Der Ofen ist aus“ (Trennung durch die kalte Küche).

Fragen zu Lebensmitteln? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN