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BEGEGNUNG AM SEE

■ „Jimi Tenor and his Shamans“ im K.O.B.

The Shamans kommen aus Finnland, und wenn man Aki Kaurismäkis Filmen Glauben schenken darf, haust dort ein außergewöhnlich skurriler Menschenschlag: wortkarg und in die eigenen schwermütigen Gedanken vertieft, manchmal gar stumpf und immer mit wenig zufrieden. Die Shamans bestätigen diese cineastischen Vorteile, bauen sie doch ihre Rhythmusinstrumente aus allerlei Müll selbst (skurril!), legen die Betonung bei ihren Songs auf die Geräuschkulisse (wortkarg!), verbreiten die Aura von Suizidkandidaten (schwermütig!), brettern immer schön drauf los (stumpf!) und zeigen wenig Sinn für Abwechslung, womit sie zufrieden zu sein scheinen. Allerdings konnte ich keinen Blick auf die Bühne erhaschen, um an ihren Mienen eine Bestätigung abzulesen. Einerseits ist der primitive Stammestanz-Groove der Shamans extrem tanzbar, andererseits sind die Geräusche, die sie darüber legen, manchmal arg angestrengt schräg. Da sägen die Gitarren und blubbern die Stimmen, Finnen-Rap auf englisch.

Die Shamans gehen dahin, wo wir alle irgendwann mal landen werden: direkt in den Stahlsumpf der Zivilisationsüberreste. So wie die Einstürzenden Neubauten vor zehn Jahren sich unter eine Autobahnbrücke verkrochen, um dort zu verprügeln, was ihnen unter die Finger kam. Allerdings ist es dort oben in Finnland, wie man hört, kalt, voller Seen, menschenleer, einsam und abgeschlossen, und vor allem die nächste schummrige Kneipe ist Hunderte von Kilometern weit weg. So ist es unwahrscheinlich, daß die Shamans irgendwann Blixa Bargeld trafen, als er an einem See saß und sinnierte, wie er denn die 1.-Mai-Krawalle musikalisch verarbeiten sollte. Also, sie trafen ihn nicht, und er konnte ihnen nicht sagen: „Jungs, nehmt doch Müll und so 'nen Kram und macht damit Musik.“ Wahrscheinlich fanden sie am Ufer jenes Sees statt Blixa anderen Müll, nahmen ihn, kamen selbst drauf und sagten sich: „Laßt uns doch Müll und so 'nen Kram nehmen und damit Musik machen.“

Allerdings ist ein ein solches Verhalten längst nicht mehr innovativ, hat sich Müll und Schrott inzwischen doch einen festen Platz in der Klangerzeugung erkämpft. Aber Finnland ist halt abgeschlossen und auch noch am Arsch der Welt (siehe oben!). Keine Mauer, die man aufmachen kann, und immer noch besser im Eishockey. Glückliches Finnland.

Thomas Winkler

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