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Ay-ya-ya-ah, super, super — toll!

■ Länderpunkte auf dem Alexanderplatz/ Wie ein Tourismuskonzern westliche Reisekultur unters Gesamtberliner Volk bringt

Bestimmte Ausdrücke werden innerhalb kürzester Zeit zu Klassikern. Einer davon ist der schon legendäre »Länderpunkt« aus der verfilmten »Neuen Revue« im RTL-Werbefernsehen.

Auf dem Alexanderplatz präsentiert sich seit einiger Zeit ein neuer Kandidat: das »Gewinnspiel«. Verlierspiel wäre ja auch blöd. Und so bilden sich um die mühsam verleideten Marktschreier der Marktwirtschaft dort regelmäßig Menschenaufläufe, aus denen heraus mit großen Kinderaugen die Clownereien millionenschwerer Unternehmensgruppen bestaunt werden.

Am Samstag kam nun die TUI (Touristik Union International), die hat nämlich neue Kataloge und die sind so schlecht, daß sie da wohl ganz doll für werben müssen. Eine »Folklore-Gruppe aus Teneriffa« jodelt erbarmungslos von der kleinen transportablen Bühne — »Ayayayayayayaya« und so weiter, einen »Sonderapplaus für Maria, weil sie das so schön gesagt hat«, fordert ein Gregor König ein, Moderator bei oben erwähntem Sender — und natürlich wird folgsam geklatscht.

Nun wird's schwierig: Ein Liegestuhl (doch, doch) soll »in nur 60 Sekunden« aufgebaut werden, dafür gibt's dann »eine tolle Überraschung«. Eine junge Mutter mit rosagekleidetem Baby auf dem Arm strebt eilig zur Bühne. Der jungenhafte Fernsehschwätzer nimmt das Kleine auf dem Arm, während sich Mutti hektisch und verbissen die Finger klemmt. Dafür bekommt sie eine »super Luftmatratze«. Während des ganzen Quatsches werden Mutti und Tochter mit Polaroids photographiert. Und so wird dieser frühe Höhepunkt im Leben des Babys (»Zeigen Sie ihr das mal, wenn sie im heiratsfähigen Alter ist«) unvergessen bleiben.

An Tapeziertischen (pardon: »Informationscountern«) nahebei werden die »acht Länderkataloge und sieben Spezialkataloge« unters Volk gebracht. Drei junge Frauen in roten Overalls bewegen die Hüften im Takt der Schlagerschreier. »In Halle war es am dollsten, da haben die uns alles aus den Händen gerissen«, berichtet Iris, 21, von den Tournee-Erlebnissen der Truppe. Aber: »In Düsseldorf vorm Bahnhof kamen fast nur Penner«. Hier geht es ein wenig verhaltener zu, etwas schüchtern wird statt Tunesien und Hongkong »Deutschland oder so, Österreich« verlangt. Immer noch kommt der November-Song Ostdeutschlands. Eine Vierzigjährige begeistert: »Wir kennen das ja alles nicht«. Für den letzten Schwachsinn kann man hier ja tatsächlich was gewinnen: Das schwierige Lösungswort für den Reisewettbewerb heißt — na klar doch — TUI. Der Alexanderplatz liegt jetzt mitten in der bunten Fernsehwelt — irgendwo zwischen Honolulu und Ennepetal.

Ein reiferer Mann in dunklem Anzug, schon elf Jahre beim Unternehmen, schwört auf die Wirksamkeit solcher Veranstaltungen: »Das können Sie bei einem guten Marketing richtig ausmessen«, — um gleich darauf eine Kostprobe seiner Promoting-Kentnisse abzugeben.

Auf der anderen Seite des Platzes schallt ebenfalls etwas von einem »Gewinnspiel« durch die Lautsprecher. Nein, kein Echo. Das »1. Rheingauer Weinfest« sucht auch bloß seine Interessenten. Bei denen muß man sich durch zehn Weinsorten saufen, um die angebotene Reise zu gewinnen — macht exakt einen Liter Sprit. Da verwundert es nicht mehr, daß an einem der Kleintransporter ein Schild angebracht ist mit der Aufschrift: »Wein-Informationen erhalten Sie beim Fahrer«. Joachim Schurig

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