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Autoübergang am Schichauweg-betr.: "Nachruf auf eine Utopie", und "Die Oppositionspartei auf der Regierungsbank", taz vom 22.6.89

Betr.: „Nachruf auf eine Utopie“ (Hartung, Seite 8), „Die Oppositionspartei auf der Regierungsbank“ (Köppl, Seite 24), taz vom 22.6. 89

Da mühen wir uns ab, den geplanten Autoübergang am Schichauweg doch noch zu Fall zu bringen, führen ein „Protestcamp“ auf der geplanten Trasse durch und dann so ein Kommentar, wo versucht wird, „8.000 Polen“ und Felder, Wiesen und Kleingärten gegeneinander auszuspielen. Beim Schichauweg geht es nicht nur um die Natur, die durch die geplante Trassenführung direkt zerstört wird, sondern um die Förderung des naturzerstörenden Autoverkehrs durch neue Straßenbauten und somit um die Richtung der Verkehrspolitik in Berlin überhaupt. Hier setzt der SPD/AL-Senat an, den gepriesenen „ökologischen Stadtumbau“ zu einer hohlen Phrase verkommen zu lassen.

Aber darum geht es Hartung nicht. Wenn er von der „zukünftigen Lebenskraft Berlins“ spricht, dann ist er weit entfernt davon, an eine lebensfreundliche Umwelt zu denken. Im Gegenteil: Er preist Einstellungen, die Zerstörung zur Folge haben („lebendiger Handelsgeist, nicht politisierbarer Egoismus“). Köppl nennt die dem zugrunde liegende Geisteshaltung in seinem Essay vom gleichen Tag: „Bereichert Euch! Nehmt keine Rücksicht auf soziale Probleme oder die Zerstörung der Natur!“

Die Senatsentscheidung, einen neuen Autotransitübergang am Schichauweg zu bauen, versucht er allerdings anders zu deuten: Hier handele es sich um einen Konflikt zwischen zwei innerhalb der AL angestrebten Zielen: Erhalt aller Grünflächen und möglichst viele Grenzübergänge. Mit dieser Darstellung versucht Köppl zu zeigen, daß sich die AL -Politik nicht durch bloße Sachzwangorientiertheit interpretieren läßt. Wenn Köppl meint, das Problem der Zielkonflikte werde anhand des Schichauwegs besonders deutlich, so ist dem insofern zu widersprechen, als es eine Lösung gibt, die beide Ziele miteinander in Einklang bringt: Möglichst viele Übergänge für Fahrräder (auch für den Transit) und Fußgänger; Umlenkung der Gelder, die für neue Straßen/Autogrenzübergänge eingeplant sind, zur Verbesserung des Bahnverkehrs. Wenn dies für die DDR finanziell ähnlich attraktiv gemacht wird wie neue Straßenbauten, dann wird sie sich dem nicht sperren.

So gesehen bleibt zum Verständnis der Haltung der AL bis zu ihrer letzten Mitgliedervollversammlung nicht viel mehr übrig als das „bloße Einbinden in Sachzwänge“. Aber der MVV -Beschluß, es dürfe keinen neuen Südübergang für Autos geben, gibt Hoffnung, daß die AL als reformerische Kraft noch nicht völlig verbraucht ist. Und auch in der SPD beginnt sich Widerstand zu regen.

Unsere Besetzung am Schichauweg läuft weiter. Leute, die wie wir Interesse daran haben, mit vereinten Kräften die Verwirklichung der Planungen zu verhindern, sind (dringend) aufgerufen, sich unserem Protestcamp anzuschließen.

Lutz Helmke, BUNDjugend

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